Das Abtreibungsrecht ist seit jeher ein heiß diskutiertes Thema und hat in den vergangenen Jahren erneut an Bedeutung gewonnen. Während mancherorts über Lockerungen des Strafrechts nachgedacht wird, erfahren Schwangere in vielen Staaten immer stärkere Restriktionen und Reglementierungen. Eine Entwicklung, die auch in Filmen der vergangenen Jahre aufgegriffen und verarbeitet wird. 2020 gewann Eliza Hittmans Drama „Niemals Selten Manchmal Immer“ den Großen Preis der Jury in Berlin, in Venedig wurde das französische Werk „Das Ereignis“ mit dem goldenen Löwen ausgezeichnet. Im Angesicht weiterer Einschränkungen der „Jane vs. Roe“ Grundsatzentscheidung (diese erkennt das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche an) in Teilen der USA, verwundert es also kaum, dass neben „Call Jane“ auch die Dokumentation „The Janes“ während des Sundance Festivals im Frühjahr vorgestellt wurde.

von Madeleine Eger aus Berlin

Etliche Jahre nach ihrem Emmy nominierten Regiedebüt „Mrs. Harris“ und der Oscarnominierung für ihr Drehbuch „Carol“ kehrt Phyllis Nagy mit ihrer zweiten Regiearbeit nun ins Kino zurück. Ihr Drama, das von einem anonymen Frauenkollektiv in Chicago erzählt und das Ende der 60er-Jahre bis Anfang der 70er rund 12.000 illegale, aber sichere und bezahlbare Eingriffe vornahm, wurde jetzt im Wettbewerb der 72. Berlinale gezeigt.

Joy (Elizabeth Banks) lebt mit ihrem Mann und erfolgreichem Anwalt Will (Chris Messina) und ihrer gemeinsamen 15-jährigen Tochter Charlotte (Grace Edwards) in Chicago. Als Joy ihr zweites Kind erwartet, kommt es jedoch zu Komplikationen. Wegen einer seltenen, lebensbedrohlichen Herzerkrankung legt man ihr nahe die Schwangerschaft nicht fortzuführen. Da ein Schwangerschaftsabbruch aber weder legal noch als Ausnahme von der Klinik genehmigt wird, muss Joy allein aktiv werden. Auf der Suche nach Hilfe stößt sie auf das geheime Frauenkollektiv „Call Jane“. Dort lernt sie nicht nur die vorsitzende Organisatorin und Frauenrechtskämpferin Virgina (Sigourney Weaver), sondern auch andere Betroffene kennen. Joy ist von den Schicksalen ergriffen und engagiert sich zunehmend selbst. Immer mit der Gefahr von strafrechtlichen Konsequenzen.

Die ganze Welt schaut zu heißt es am Anfang. Nicht nur die Welt, sondern auch Joy, deren beschauliches Leben trotz der Unruhen der Vietnamkriegproteste sowie Bürger- und Frauenrechtsbewegnungen dennoch kaum aus den Fugen geraten kann. Als ihr dann aber eine 50-prozentige Überlebenschance durch ihre Schwangerschaft offenbart wird, ist es vorbei mit der Sorglosigkeit. Da sitzt sie nun, die gestandene Frau, im Kreis des Krankenhausvorstands, der sie komplett ignoriert und vor ihren Augen über ihr Leben entscheidet. Zum ersten Mal erlebt sie am eigenen Leib, was es bedeutet kein Selbstbestimmungsrecht zu besitzen. Dabei verweilt die Kamera die meiste Zeit auf ihr, zeigt ihre vergeblichen Versuche sich in das Gespräch mit einzubringen, damit der Wert ihres Lebens nicht derart erniedrigend außer Acht gelassen wird. In einer sprunghaften Abfolge von Einblendungen werden hingegen die Männer hinter der Entscheidung gezeigt. Kurze Fragen, kurze Antworten, ein schnelles Urteil. Gegen den Willen von Joy und ohne Rücksicht auf Verluste. In Zeiten, wo vorwiegend männliche Entscheidungsträger Rechte von Frauen beschneiden, eine harte und unbequeme Szene, die an Aktualität nichts eingebüßt hat.

Als man ihr daraufhin nahelegt, eine psychische Erkrankung und Selbstmordgefahr vorzutäuschen oder die Sprechstundenhilfe ihr den Sturz von der Treppe empfiehlt, sind dies gleich die nächsten Momente, die einem wie ein Kloß im Halse stecken bleiben. Zu Beginn bemüht sich „Call Jane“ so tatsächlich noch um ein schwermütiges und nervenzehrendes Drama. Wenngleich Elizabeth Banks eine Frau darstellt, deren Lebensumstände alles andere als schwierig sind. Joy hat zunächst weder familiäre Probleme, noch Geldsorgen, um den Eingriff vornehmen zu lassen. Eine gewisse Distanz zum Charakter ist von Anfang an zu spüren. Mit Fortschreiten der Handlung wird diese zunehmend prägnanter und zudem von einer zuweilen deplatzierten Leichtigkeit eines Wohlfühlfilms begleitet.

Die Unwissenheit über den eigenen Körper (Joy nimmt sich beispielsweise mit einem Spiegel das erste Mal selbst unter die Lupe) oder fehlende sexuelle Aufklärung und Scham, werden in lockeren Szenen mit beschwingter 60-Jahre Musik verarbeitet, wohingegen das gesundheitliche Risiko von Hinterhofabtreibungen oder die Gefahr bei Eigenvornahme meist nur noch angeschnitten wird und im Hintergrund Beachtung findet. Im Vergleich zu den Vorjahresfilmen, die zum Teil sehr explizit und markerschütternd mit ihrer Darstellung umgingen, zeigt sich Nagy mit „Call Jane“ wenig risikobereit. Ihr Drama wirkt viel zu oft zu glatt, zu stilisiert, klischeebelastet und ausweichend. Ein erfundener Kunstkurs, um an den Treffen des Kollektivs teilzunehmen oder ein geldgieriger Möchtegernarzt, der im Strip-Poker um die Anzahl von kostenlosen Abtreibungen feilscht, sind nur einige wenige der Momente, die der Geschichte ihre Dringlichkeit und Ernsthaftigkeit entziehen. Gleichzeitig drängt sich mit den Dialogen das Female Empowerment sukzessiv in den Vordergrund. So wird man am Ende das Gefühl nicht los, dass „Call Jane“ vielmehr drauf bedacht ist sein Publikum zu unterhalten, als der bedeutenden und bewundernswerten Arbeit des Kollektivs ein Denkmal mit Diskussionsanstoß zu setzten.

Fazit

Blasse Charaktere in einem Konstrukt, das viel stärker darauf ausgelegt ist zu unterhalten statt nachhaltig zu bewegen. „Call Jane“ verpasst, trotz zwei wunderbarer Schauspielerinnen und einer bemerkenswerten Geschichte so die Chance, der aktuellen Relevanz Nachdruck zu verleihen.

Bewertung

Bewertung: 4 von 10.

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Bilder: © Wilson Webb