Don DeLillos Bücher galten lange als unverfilmbar, bis uns David Cronenberg 2012 mit „Cosmopolis“ eines Besseren belehrte. Ihm gelang das Kunststück, die einzigartige Sprache und Erzählweise des amerikanischen Autors in Bilder zu übersetzen, die ein stimmiges (und sehenswertes) Ganzes ergaben. „Cosmopolis“ war zugleich unverkennbare Adaption und eigenständiges Werk. Noah Baumbach probiert nun mit „Weißes Rauschen“ („White Noise“) das selbe. Das Ergebnis feierte in Venedig seine Premiere und ist seit 30.12.2022 auf Netflix zu sehen.

von Christian Klosz

Jack Gladney (erneut überzeugend: Adam Driver) lebt mit seiner Frau Babbette (herzig: Baumbach-Muse und -Ehefrau Greta Gerwig) und deren Patchwork-Familie in einem amerikanischen Vorort. Gladney ist Experte für „Hitler-Studien“ an der lokalen Uni, das Leben der Familie Gladney ist geprägt von amerikanischen Mittelklasse-Ritualen, Jacks von Uni-Ritualen, jenes dieses fiktiven Örtchens von Beschaulichkeit – und Langeweile. Einzig eine subtile Angst vor dem Tod drängt sich in das teils chaotische, aber im Grunde harmonische Familienleben und zwischen Jack und Babbette.

Alles ändert sich, als in Folge eines Zugunglücks eine große Rauchwolke hochsteigt und sich dem kleinen Städtchen nähert. Während die 4 Kinder der Gladneys diesen von Medien später als „airborne toxic event“ betitelten Vorfall von Anfang an ernst nehmen, reagiert Jack erst mit Desinteresse, dann mit Abwehr und Ignoranz. Bis die Sirenen surren und zur Evakuierung aufgerufen wird. Die Familie übersteht das Ereignis auf den ersten Blick unversehrt und kehrt nach einigen Tagen wieder in ihr trautes Heim zurück, doch Jack hatte einige Minuten Kontakt mit der „Wolke“, wodurch sich, so Ärzte, seine Lebenserwartung verringern könnte. Die Angst vor dem Tod ergreift – nach Babbette – nun auch ihn. Und führt zu drastischen Entscheidungen und dramatischen Einschnitten in das (familiäre) Leben.

Alles in allem schafft Baumbach mit „Weißes Rauschen“ eine gelungene Adaption, die sich trotz Längen im Mittelteil gegen Ende hin steigert. Das Finale weist dann auch stilistisch Parallelen zu Cronenbergs „Cosmopolis“ auf, die absolute Verstörung, die zentrale Absicht von DeLillos Schaffen ist, entfaltet sich hier am wirkungsvollsten.

In den ersten 1,5 Stunden gelingt die Übersetzung von Literatur zu Film mal gut, mal mittelmäßig. Die Herausforderung, die kunstvollen, abstrakten, absurden und teils ins Nihilistische gehenden Sätze und Dialoge DeLillos zu adaptieren, meisterte Cronenberg in seinem Film durch das reduziertere Setting und die konzentrierte Inszenierung (fast der ganze Film spielt in einem Auto, mit nie mehr als 2 bis 3 Figuren) um einiges besser, denn Baumbachs Vision ist bunt und voller Schauwerte, neben denen die gesprochenen Worte oft untergehen (erst im Finale stimmt der Fokus und die Balance zwischen Bild und Sprache).

Auf den ersten Blick handelt „Weißes Rauschen“ neben dem existentialistischen und metaphysischen Thema „Tod“ (und der Angst davor) auch von konkreteren Dingen wie einer schwer greifbaren, teils unsichtbaren Gefahr „aus der Luft“, die Leib und Leben bedroht. Vergleiche zur Corona-Pandemie drängen sich auf, realisiert wurde das Projekt tatsächlich auch während dieser Zeit und sichtbare Gesichtsmasken verweisen recht deutlich auf eine intendierte Parallelität. Gleichzeitig bleibt Baumbach in seiner Aktualisierung des 1985 veröffentlichten Stoffes zu vage, um eine eindeutig klare, eigene Absicht herauslesen zu können. Vielmehr verweist sie darauf, dass sich in den letzten Jahrzehnten nicht so viel geändert haben mag. Angst, Ungewissheit, Verdrängung, Trauma, Falschinformation, Entstehung von Verschwörungstheorien, Unglauben, Überforderung – all das zeigt(e) sich auch in den letzten 3 Jahren und gegenwärtig. Schlussendlich bleibt in „Weißes Rauschen“ die Familie als letztes, stabilisierendes soziales Element, das nach der Krise bleibt und überleben lässt, trotz Angst: Die Parallelen zur Gegenwart sind eher Beleg für DeLillos Prophetie als für Baumbachs Zeitgeist(-Kritik). Als zentraler Satz bleibt das bemerkenswerte Buchzitat „Family is the cradle of the world’s misinformation“ hängen.

Fazit:

„Weißes Rauschen“ ist eine durchaus sehenswerte Filmadaption eines anspruchsvollen literarischen Stoffes, der angesichts seiner Aktualität Interesse weckt, aber nicht nur das. Der Film behandelt spezifische sowie allgemeine Themen und Fragen der Existenz, ohne Antworten zu geben. Eine düstere, komische, satirische und nihilistische Beschreibung der (US-)Konsumgesellschaft, die vom Lauf der Welt eigentlich nur in Ruhe gelassen werden will und an der Bewältigung einer einschneidenden (Natur-)Katastrophe weitgehend scheitert, um am Ende das Seelenwohl durch Betäubung und kapitalistische Rituale zu kitten: Tabletten. Und exzessiver kollektiver Konsum. Im Supermarkt, dem Tempel des Kapitalismus. DeLillo war wahrlich ein Prophet.

Bewertung:

Bewertung: 8 von 10.

(83/100)

Bilder: (c) Netflix