“Sick of Myself” feierte bei den Filmfestspielen von Cannes Premiere und wurde anschließend zu einer Art Publikumsliebling. Regie führte der norwegische Regisseur Kristoffer Borgli, der mit “Sick of Myself” einen Film kreiert hat, der trotz offizieller Einordnung als “Tragikomödie” eindeutig mehr Tragik als Komödie beinhält. Denn, schwarzer Humor hin oder her, lachen fällt bei dieser Geschichte schwer.

von Lena Wasserburger

“Ist da jemand ein bisschen narzisstisch?”, fragt Thomas seine Freundin Signe in der ersten Szene des Films und fasst damit bereits schon den eigentlichen Punkt des Films in einem Satz zusammen. Nur, dass “ein bisschen” eine grandiose Untertreibung ist. Denn Thomas’ und Signes Beziehung zeichnet sich durch Narzissmus aus. Ständig versuchen die beiden, einander zu übertrumpfen. Die Sucht nach Aufmerksamkeit kennt keine Grenzen bis sie in Signes Fall sogar krankhafte Ausmaße annimmt. Denn plötzlich steht ihr Freund, der aus eigentlich gestohlenen Luxusmöbeln Skulpturen bastelt, im Rampenlicht und wird als Künstler gefeiert. Und auf einmal sieht sich Signe als Randfigur – eine für sie unerträgliche Situation, die langsam beginnt, zu eskalieren. Vor dem Café, in dem Signe arbeitet, wird eines Tages eine Frau von einem Hund angegriffen. Als die Frau in ihren Armen blutet und sich eine Schar Zuschauer bildet, sieht Signe in ihren Augen alles, was sie jemals wollte: Sympathie, Aufmerksamkeit, Mitleid. Eine Idee fängt an, in ihren Gedanken Wurzeln zu schlagen. Im Internet erfährt sie von einer russischen Droge, die zu massiven Hautausschlägen und Geschwüren führt. Kurzerhand besorgt sie sich die Pillen. Ihr Narzissmus nimmt überhand und Signe nimmt die Pillen in so großen Mengen zu sich, dass ihr Körper letztendlich entstellt ist und sie schwer erkrankt. Für einen Augenblick hat sie alles, was sie jemals wollte: Die Sympathie ihrer Freunde, mediale Aufmerksamkeit und die Ergebenheit ihres Freundes Thomas. Signe suhlt sich in ihrer Opferrolle, doch dann verschlechtert sich zunehmend ihr gesundheitlicher Zustand und Signes Lügengerüst gerät ins Wanken.

“Sick of Myself” ist eine faszinierende Auseinandersetzung mit Narzissmus und das in der Öffentlichkeit immer häufiger diskutierte Thema “Performative Victimhood”, auf Deutsch: “Performative Opferrolle”. Es geht um Menschen, die sich in der Öffentlichkeit als Opfer darstellen, ohne tatsächlich Opfer zu sein. Doch um Aufmerksamkeit oder Ansehen zu erlangen, manchmal auch Mitleid und Sympathie wird eine Opferrolle eingenommen. Es ist ein Thema, das gerade im Zeitalter von Social Media besondere Bedeutung hat, einer Zeit, in der Menschen auf der Suche nach Ruhm und Aufmerksamkeit scheinbar keine Grenzen mehr kennen. In “Sick of Myself” wird dieses Thema auf die Spitze getrieben. Das Publikum taucht in Signes Gedankenwelt ein, eine Welt, in der nur sie selbst existiert, in der sie der Star ist. Signe fällt in ein immer tieferes Loch der Selbstbesessenheit und Selbstzerstörung und es ist am Ende des Films unklar, ob und wie sie jemals wieder aus diesem Loch emporklettern wird. Es ist ein bitterböser Einblick in die Welt einer psychopathischen Narzisstin und ein Film, der darauf setzt, eine Atmosphäre der Unbehaglichkeit zu erzeugen. Auf technischer Ebene sticht der Film allerdings nicht hervor, sei es nun die Filmmusik oder die Cinematography.

Borgli verschwendet in “Sick of Myself” keine Zeit und ist brutal in seiner Darstellung der Hauptfigur. Für Signe, toll gespielt von Kristine Kujath Thorp, Sympathie zu empfinden, fällt schwer, allerdings macht der Film auch keinen Hehl daraus, dass sie Protagonistin und (vor allem) Antagonistin zugleich ist. Ihre unleugbaren mentalen Probleme machen es jedoch kaum möglich, über den schwarzen Humor, den Borgli in seinen Film integriert hat, zu lachen oder auch nur zu schmunzeln. So absurd Signes Wahrnehmung der eigenen Lebensrealität auch ist, die extremen Handlungen, die sie unternimmt, um ihre Gier nach Aufmerksamkeit zu stillen, sind erschreckend düster.

Fazit

Kristoffer Borgli hatte eine Idee, die er ohne große, kunstvolle Inszenierung umgesetzt hat. “Sick of Myself” kann nicht mit Ästhetik prahlen oder mit besonders innovativen Bildern. Der Film bringt das, was er sagen möchte auf den Punkt, nicht mehr und nicht weniger. Die wenigen Momente, in denen Borgli doch etwas mehr mit seinen Bildern punkten möchte, wirken daher fast etwas überflüssig. Seit 24.3. im Kino.

Bewertung

Bewertung: 7 von 10.

(66/100)

Bild: © Filmladen Filmverleih