Netflix spart an großen Filmen und Blockbustern, aber manche Originals beweisen, dass es der Streamingdienst immer noch kann, wenn er denn will. Das traf in jedem Fall auf “Don’t Look Up” zu, in gewissem Ausmaß auf “Glass Onion: A Knives Out Mystery” und was den Unterhaltungswert betrifft auch auf “Murder Mystery 2”, der zudem zeigte, dass Sequels manchmal auch besser als das Original sein können.
von Christian Klosz
Dasselbe gilt für “Tyler Rake: Extraction 2”, der seit gestern auf Netflix zu streamen ist. Denn der Actionkracher mit Chris Hemsworth bietet mitunter die besten Actionszenen, die man die letzten Jahre auf irgendeinem Bildschirm oder irgendeiner Leinwand sehen konnte.
Kurz zur Handlung: Tyler Rake (Hemsworth), Söldner einer ehemaligen australischen Spezialeinheit, der sich auf “Extractions” (also “Befreiung” anderer aus Gefängnissen) spezialisiert hat, liegt nach seinem letzten Einsatz (Film 1) im tiefen Koma. Niemand rechnet mehr damit, dass er wieder aufwachen könnte, auch nicht seine beiden Helferlein Nik und Yaz Khan ( Golshifteh Farahani, Adam Bessa). Als bereits diskutiert wird, den Stecker zu ziehen, erwacht Rake von den Halbtoten, der mühsame Weg zurück beginnt. Schrittweise geht es von Bewegungsunfähigkeit Richtung Rollstuhl bis hin zum Gehen am Stock. Als Tyler soweit wieder hergestellt ist, wird er in einer Waldhütte im österreichischen Gmunden abgesetzt, wo er seine restlichen Blessuren kurieren und sich auf den verfrühten Ruhestand einstellen soll. Doch natürlich kommt alles anders: Seine Ex-Frau lässt Rake anheuern, um ihre Schwester und deren 2 Kinder aus einem georgischen Gefängnis zu extrahieren, die dort von ihrem Gatten Davit festgehalten werden, der mit seinem Bruder Zurab ein mafiöses Syndikat betreibt. Als Davit bei dem Ausbruchsversuch stirbt, schwört Zurab Rache. Diese Rache ist dann der restliche Inhalt des knapp 2-stündigen Films.
Zugegeben: Die Komplexität der Handlung ist überschaubar. Zwar gelingt der Prolog von “Tyler Rake: Extraction 2” recht gut, doch allgemein leidet das Niveau des Films immer dann etwas, wenn gerade nichts (oder wenig) passiert. Das liegt auch daran, dass alle ruhigeren, gesprochenen Szenen im Grunde nur Füllmaterial sind, um das, was davor und danach geschieht, in ein schlüssiges, dramaturgisches Korsett zu packen. Und das, was da passiert, ist vor allem eines: Atemberaubende Action.
Die beginnt mit einer packenden, fulminanten und virtuos umgesetzten 20-minütigen one-shot-Sequenz von Rakes “Einbruch” in das Gefängnis über die Herausholung der Zielpersonen bis zu Kämpfen mit Wachen, Insassen und schließlich der Jagd von Davits Bruder Zurab auf Tyler, seine Crew und seine Schwägerin inklusive Kinder: Adrenalin pur, und das alles erreicht man nicht durch CGI, überbordende Effekte oder Schnittgewitter, sondern durch erstklassiges Handwerk der Darsteller, der Kamera und der Regie (Sam Hargrave).
Allein diese Sequenz macht “Tyler Rake: Extraction 2” sehenswert, ihn zu einem der besten Actionfilme der letzten Jahre. Und Chris Hemsworth, der mit seiner puren, harten Körperlichkeit für große Leinwand-Präsenz sorgt, ist auf dem Weg zum Actionstar einer neuen Generation, vergleichbar vielleicht mit den Stallones und Schwarzeneggers der Vergangenheit. Wenngleich die nach dem Ein/Ausbruch verbleibende, restliche Stunde Laufzeit nicht mehr ganz das Niveau des Beginns erreicht, bleibt die Action mehr als sehenswert und packend. Natürlich hilft es auch, dass die zweite Hälfte des Films Größtenteils in der Donaucity in Wien (genauer: auf dem DC-Tower) gedreht wurde: Wie oft kommt es schon vor, dass ein Werk dieser Dimension in der österreichischen Hauptstadt zu Gast ist?
Während die Action also eindeutig Hauptprotagonist dieses gelungenen Sequels ist – und das ist auch gut so – bleibt der kleine Wermutstropfen, dass das Drehbuch und die Dialoge nicht mehr hergeben. Das mag daran liegen, dass “Tyler Rake: Extraction 2” von Joe Russo geschrieben wurde. Und auch der Soundtrack gehört eher zur Kategorie “Pflichtübung”, unterstützt die Handlung, ist aber so generisch und schwach, dass er beinahe negativ aufallen würde. Wäre da nicht diese göttliche Action!
Fazit
“Tyler Rake: Extraction 2” schafft Großes: Das Resultat ist ein starkes Sequel, einer der besten Actionfilme der letzten Jahre, die besten Actionszenen seit langem und die (zweite) Geburt eines neuen Actionhelden: Dass Teil 3 kommen wird, steht wohl schon jetzt fest, viel eindeutiger könnte ein Epilog nicht sein. Und angesichts des Unterhaltungswertes dieses Films ist das gar keine so schlechte Nachricht.
Bewertung
(84/100)
Bild: (c) Netflix