Luis Buñuels Meisterwerk „Belle de Jour“, inzwischen 56 Jahre alt, ist vor kurzem in die europäischen Kinos zurückgekehrt, mit seiner ursprünglichen Eleganz und seinem schäbigen Humor. Buñuel hat zusammen mit Jean-Claude Carrière ein geheimes Theater der erotischen Scham geschmiedet, eine Erzählung, die die Zeit überdauert, mit seltenen unbeabsichtigten Momenten des Surrealismust. Der Film erzählt die Geschichte von Séverine, einer Rolle, die von Catherine Deneuve unsterblich gemacht wurde, der schönen, aber zutiefst gelangweilten Ehefrau eines wohlhabenden Pariser Chirurgen. Séverine, die sich nur selten und widerwillig an den ehelichen Pflichten beteiligt, führt tagsüber ein Doppelleben als Edelprostituierte, die sich Belle de Jour nennt. Ihr heimliches erotisches Martyrium ist eng mit dem Missbrauch in der Kindheit verwoben, dessen Erinnerungen in verstörenden Rückblenden auftauchen. Buñuel verwebt diese meisterhaft mit ihren Träumen und Träumereien, die oft in einem sadeanischen Schloss spielen.

Deneuve, mit ihrer fast durchscheinenden Blässe, ihrem mondähnlichen Gesicht, bewegt sich mit der Abstraktion einer Schlafwandlerin durch den Film. Ihre Figur Séverine wird durch die rüpelhaften Annäherungsversuche des Freundes ihres Mannes, Husson, und die indiskreten Bemerkungen seiner Freundin in die Welt der Prostitution gezogen. Eine nervöse Einführung bei Madame Anaïs, der Herrin eines diskreten Etablissements, ebnet Séverine den Weg zu einer versierten Professionellen, die nur nachmittags arbeitet und deren filigrane weiße Dessous an kirchliche Gewänder erinnern. Buñuel spielt später auf ihren Ruf an, indem er Séverine in ihrem respektablen Haus beim Sticken zeigt.

Der Film taucht in die bizarren Pantomimen des Sex ein, die oft keine Erotik enthalten. Buñuel präsentiert eine Klientel, die nicht nur Sex sucht, sondern Fantasien: die Fantasie, beliebt und attraktiv zu sein, das Leben einer imaginären Nachmittagsgesellschaft. Einige suchen masochistische Rollenspiele; ein angesehener Gynäkologe wünscht sich eine Demütigung, die an eine Dienerin erinnert. In einer eindrucksvollen Szene betrachtet der Ganove Marcel, der Kunde von Séverine, ihren nackten Körper und sagt: „Schade, dass du nur zwei davon hast…“.

Die Grenze zwischen Realität und Fantasie ist fließend. Séverine besucht für ein erotisches Ritual ein Schloss mit einer Anlage, die der aus ihren Träumen ähnelt, und wir sehen sie und ihren Mann an einem unheimlich leeren Strand, wobei der Kontext unklar ist. Aber der Kern der Erzählung liegt in Séverines Kindheitserinnerungen: eine, in der sie belästigt wird und zu viel Angst hat, um zu schreien, und eine andere, in der sie die Kommunion in einer Kirche verweigert, weil sie sich beschmutzt fühlt.

Buñuels Erzählung ist weit mehr als eine erotische Reise; sie ist ein scharfsinniger Kommentar zu sozialer Heuchelei und Sexualpolitik. Er lädt uns ein, über die Übertretung einer respektablen Frau nachzudenken, die sich nachmittags heimlich prostituiert, und stellt sie dem normalisierten Verhalten eines respektablen Mannes gegenüber, der eine Prostituierte besucht. Dieser Gegensatz zwischen den Geschlechterstereotypen spiegelt den Mann mit der Melone in Magrittes Gemälde wider, der seinen eigenen Rücken im Spiegel sieht.

„Belle de Jour“ ist ein seltsamer und fesselnder Film, dessen Surrealismus absichtlich oder unabsichtlich das Erotische und das Schamhafte, das Reale und das Imaginäre zu einem überzeugenden Kommentar zu Geschlechter- und Gesellschaftsnormen verwebt. Durch die leuchtende und doch eindringliche Präsenz von Deneuve schafft Buñuel eine Erzählung, die immer noch nachhallt und deren Eleganz und Humor von der Zeit nicht getrübt wurde. Es ist nicht nur ein Film über die erotische Reise einer Frau, sondern eine tiefgründige Erkundung der verborgenen Abgründe des Begehrens, der Scham und der gesellschaftlichen Masken, die wir alle tragen. „Belle de Jour“ ist ein Zeugnis von Buñuels filmischem Genie, ein Werk, das auch ein halbes Jahrhundert nach seiner Erstveröffentlichung noch provoziert, fesselt und zur Selbstreflexion einlädt.

Gastbeitrag, enthält Linklplatzierungen

Titelbild: Foto Filmposter