„Godzilla Minus One“ von Takashi Yamazaki erschien am 1.12. in den Kinos und ist die neueste Filmadaption der berühmten Riesenechse. Dieser Text befasst sich mit dem Subtext des Werkes, dem durchwegs präsenten Thema der „Überlebensschuld“ und der Relation des Films zu anderen „Godzilla“-Adaptionen. Außerdem soll er als Parabel auf reale Krisen (und deren Überwindung) der japanischen Gesellschaft gelesen werden, die in der Handlung des Films ihre Symobolisierung erfahren. Damit findet sich „Godzilla Minus One“ in der Tradition des Orginal-„Godzilla“ aus 1954: Denn der erzählte in seinem Subtext von den Atombombeneinschläge von Hiroshima und Nagasaki.

von Richard Potrykus

Im Film ist es 1945 und der Pazifikkrieg liegt in den letzten Zügen. Der Kampfpilot Koichi Shikishima (Ryunosuke Kamiki) landet mit seiner Maschine auf der Insel Odo. Auf ihr befindet sich ein japanischer Stützpunkt. Aus Gründen, auf die später eingegangen werden soll, gibt Shikishima vor, sein Flugzeug wäre defekt und müsste repariert werden. Kurz darauf begegnen er und die Mechaniker einem bis dato unbekannten Monster-Godzilla. Außer Shikishima und dem Mechaniker Sosaku Tachibana (Munetaka Aoki) überlebt niemand den Angriff des Monsters.

/ Die Realität im Jahr 2011. Auf Grund eines Erdbebens und des dadurch ausgelösten Tsunamis kommt es im Kernkraftwerk Fukushima I zu Kernschmelzen und radioaktiver Verseuchung. Mehr als 18.000 Menschen sterben durch den Tsunami. Über 160.000 Menschen müssen durch das Reaktorunglück evakuiert werden.

Dann vergeht im Film einige Zeit. Der Krieg ist vorüber und das zivile Leben normalisiert sich. Nach und nach kehren Arbeit und Wohlstand zurück. Es gibt wieder sorgenfreie Beziehungen zwischen Familien und Freunden. Gleichzeitig finden im Bikini-Atoll Nuklearwaffentests statt, wodurch Godzilla mutiert und es berichten US-amerikanische und japanische Militärs intern über das Monster.

/ Außerhalb des Films vergeht die Zeit nicht weniger. Der Tsunami wird überwunden und Maßnahmen werden ergriffen, um die Schäden, hervorgerufen durch das Reaktorunglück, nach und nach zu beseitigen. Oberflächlich entspannt sich die Lage, doch die Strahlung bleibt. Dann bricht schließlich das Jahr 2019 an und damit der Beginn der COVID-19-Pandemie. Dieses Mal gehen Gefahr und Zerstörung nicht von Naturgewalten und technischen Mängeln aus, sondern von einem nicht (be)greifbaren Virus, welches die Autoritäten und die Zivilbevölkerung gleichermaßen vor Herausforderungen stellt.

Im Film ist es das Jahr 1947 und Godzilla verwüstet den Tokioter Stadtteil Ginza, woraufhin eine Gruppe von Menschen in einer großangelegten Operation alles daran setzt, das Monster endgültig zu besiegen.

„Godzilla Minus One“: Das Monster kehrt zu seinen Wurzeln zurück

Seit ihrer Entstehung macht die japanische Riesenechse diverse Verwandlungen durch. Sie kämpft wahlweise als Bedrohung gegen die japanische oder US-amerikanische Bevölkerung oder sie zerstört zwar zivile Areale, glänzt aber als Beschützer gegen Monster, die noch krasser sind als Godzilla selbst.

Dabei geraten die menschlichen Schicksale sehr in den Hintergrund, wenn es gut geht, oder sie erhalten unnötig viel Gewicht und lenken mit Belanglosigkeiten von den eigentlichen Qualitäten der Kaiju-Action ab – so geschehen in den US-amerikanischen Monsterverse-Filmen seit 2014.

Den Anfang nahm Godzilla allerdings 1954 als doppelbödiger Genrefilm, um die Schrecken der Nuklearexplosionen von Hiroshima und Nagasaki zu verarbeiten. “Godzilla Minus One” setzt zeitlich vor “Godzilla” an, steht aber in keiner Konkurrenz zu dem Film. Vielmehr bezieht sich der Film von Regisseur Takashi Yamazaki so auf die Ursprünge der Reihe, denn auch in “Godzilla Minus One” geht es im Subtext um die Bewältigung von großen Konflikten, von Schicksalen und Krisen, die das gesamte japanische Volk betreffen. Yamazaki behandelt diese Krisen mit dem Ziel, gestärkt daraus hervorzugehen.

Und so erhalten die menschlichen Figuren nicht nur mehr Gewicht, sondern auch Sinn. Shikishima ist keine leere Hülle, die dazu da ist, die Pausen zwischen den Godzilla-Sequenzen zu füllen. Shikishima ist Kamikaze-Pilot und schnell ist klar, dass sein Flugzeug nicht schadhaft ist, sondern er Angst hat und desertiert ist. Warum er Kamikaze-Pilot geworden ist, wird nicht erklärt, aber als Godzilla angreift, ist er erstarrt vor Angst und traut sich nicht, auf das Monster zu schießen. In der Folge wird er von Schuldgefühlen geplagt und bekommt dies auch von seinen Mitmenschen zu spüren, wenn sie erfahren, welche Aufgabe er im Krieg hatte und es daher falsch wäre, dass er noch lebt.

Die Schicksale der Figuren

Der Regisseur Yamazaki spannt hier einen interessanten Bogen von zeitgeschichtlichen Schicksalen des japanischen Volkes hin zu Idealen wie Ehre und dem ehrenvollen Tod und diskutiert dieses Spannungsverhältnis anhand einer Figur. Nach seiner Rückkehr in die Heimat, eines der zerstörten Viertel Tokios, trifft Shikishima auf die junge Frau Noriko (Minami Hamabe) und das neugeborene Kind, welches sie in den Armen hält. Der Säugling namens Akiko ist nicht Norikos Kind, aber nachdem die leibliche Mutter gestorben ist, hat sich Noriko dem jungen Menschen angenommen. Da sie selbst keinen Besitz hat, bilden die drei Überlebenden eine Schicksalsgemeinschaft.

Yamazaki inszeniert diese Bildung einer neuen Familie wie die Bildung einer Gemeinschaft, in der die Starken auf die Schwachen Acht geben und alle zusammen an einer gemeinsamen Zukunft arbeiten. Wo die Mitglieder dieser Gemeinschaft herkommen, ist dabei zweitrangig. So verschweigt Shikishima zunächst, Kamikaze-Pilot gewesen zu sein, und fällt es auch nicht weiter ins Gewicht, dass Noriko eingangs von der Polizei verfolgt wird, weil sie etwas gestohlen hat. Was zählt, ist das Jetzt und die gemeinsame Arbeit hin zu einer fruchtbaren Zukunft.

Doch Yamazaki zeigt auch, dass die Geister der Vergangenheit gegenwärtig sind und erst bezwungen werden müssen und das kommuniziert er durchaus handfest, denn die Vergangenheit spielt sich nicht allein in Shikishimas Kopf und den Gedanken rund um das Eigentlich-Nicht-Mehr-Leben-Dürfen ab.

Tatsächlich sind während des Krieges überall im Japanischen Meer Seeminen gelegt worden und diese müssen nun gefunden und sicher zerstört werden. Dabei treiben die Minen in doppeltem Sinn unter der Oberfläche. Einerseits sollten die Feinde sie nicht entdecken, andererseits muss das japanische Volk aktiv nach ihnen suchen und so sich selbst und die eigene Vergangenheit hinterfragen. Es ist Shikishima, der diese gut bezahlte Aufgabe annimmt und so nicht nicht länger nur Sorge für ein kleines Kind trägt, sondern auch für seine Mitmenschen und all jene, die ein Schiff besteigen und aufs Meer hinausfahren.

Nach und nach wird Shikishima so mit neuen Aufgaben betraut, wodurch er Bedeutung erhält und sein Leben neuen Sinn. Wäre er im Krieg gestorben, wer würde dann die Minen beseitigen?

Shikishima ist nicht allein auf dem Boot. Mit ihm zusammen sind der Kapitän Yōji Akitsu (Kuranosuke Sasaki), der Waffeningenieur Professor Kenji Noda (Hidetaka Yoshioda) und der ungestüme junge Mann Shirō Mizushima (Yuki Yamada) und damit Vertreter unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen. Sie scheinen allesamt integre Menschen zu sein, die ihre Qualitäten und Fähigkeiten besitzen, aber Shikishima ist der einzige, der das Bordgeschütz sicher bedienen und so die erspähten Minen kontrolliert sprengen kann.

Hätte er auf der Insel Odo das Feuer auf Godzilla eröffnet, wer hätte dann Noriko und Akiko Obdach gegeben? Das Publikum weiß, dass Shikishimas Eingreifen nichts gebracht hätte und dass er noch lebt, gerade weil er nicht geschossen und sich stattdessen ruhig verhalten hat. Immer wieder fasst Shikishima neuen Lebensmut, wenn er sieht, was um ihn herum geschieht und wie sehr das auch mit seinem Zutun zusammenhängt, doch packt ihn immer wieder auch die Last, noch am Leben zu sein.

Überlebensschuld und Erlösung

Shikishima leidet unter einem Überlebensschuld-Syndrom und wann immer seine Vergangenheit erwähnt wird, bestätigt ihn zudem sein Umfeld in dieser Schuld. Selbst der Kapitän, der immer darauf bedacht ist, dass sich Shirō nicht unbesonnen in Gefahr begibt, bestätigt die Schuldgefühle, als er von der Desertation erfährt. Nur selten erhält Shikishima so etwas wie Zuspruch und daher schafft er es nicht, sich von seiner Vergangenheit zu lösen und konsequent nach vorne zu blicken.

In der Zwischenzeit stirbt bei Godzillas Angriff auf Ginza Noriko, zu der Shikishima mittlerweile eine Liebesbeziehung unterhält. Zu Akiko (Sae Nagatani) hat der Pilot die Beziehung nie ganz aufbauen können. Durch sein Leiden bleibt sie ihm fremd und er kann nicht akzeptieren, dass ausgerechnet er, der Schuld auf sich geladen hat und eigentlich nicht mehr leben möchte, das Recht haben sollte, für einen anderen Menschen zu sorgen.

Des Lebens überdrüssig, beschließt Shikishima, alle Fäden zu kappen und sein Gewissen durch einen Kamikazeangriff auf Godzilla zu erleichtern. Hierfür sucht er den Kontakt zu Tachibana, der ihn seit dem Vorfall auf Odo hasst und sich kaum etwas sehnlicher wünscht als seinen Tod.

Der Regisseur gibt Shikishimas Gewissen auf diese Art ein echtes Gesicht, eine Repräsentation des Teils des japanischen Gesellschaft, der die Traditionen hochhält und nichts übrig hat für Shikishimas Angst und den Willen, zu überleben. Als Tachibana jedoch sieht, was Shikishima in der Zwischenzeit aufgebaut hat, was er mit seinem Leben seither angefangen hat und wer nun zu seinem Leben gehört, gibt er ihm einen Hinweis darauf, dass sich in dem Flugzeug ein Schleudersitz befindet, und ermahnt ihn, diesen auch zu nutzen. Tachibana entlässt Shikishima so aus seiner Überlebensschuld und rehabilitiert ihn. Nach all der Zeit kann der Pilot endlich nach vorne schauen und auf eine Zukunft hinter den Herausforderungen blicken.

Fazit

Wie eingangs erwähnt ist “Godzilla Minus One” ein Genrefilm. Bei Genre-Filmen haben Filmemacher*innen in der Regel zwei Möglichkeiten. Entweder sie fokussieren sich vollkommen auf das Genre und setzen sowohl narrativ als auch inszenatorisch alles daran, das Genre bestmöglich zu repräsentieren, oder sie nutzen das Genre als Vehikel, um eine andere Geschichte zu erzählen, die darunterliegt.

Letzteres trifft auf Yamazakis Film zu. Der Regisseur erzählt ein Drama über Schicksale, über Katastrophen und darüber, dass alles auch weitergeht und weitergehen muss, aber vergisst darüber nicht das Monster. Godzilla wird prachtvoll in Szene gesetzt. Im Design erinnert die Echse stark an den Godzilla von 1954 und wenn dann ein Zug von Godzilla ergriffen und zerstört wird, sieht das Publikum eine wunderbare Neuadaption der Zerstörung eines ähnlichen Zuges aus den Tagen des s/w-Films.

Natürlich gilt auch hier das Gesetz der Serie und so wird die Echse am Ende doch nicht vollends besiegt, was schon jetzt die Frage aufwirft, in welchem Verhältnis eine etwaige Fortsetzung zum Originalfilm aus den 1950er Jahren stehen wird.

Richard Potrykus betreibt auch den Filmblog Celluloid Papers.

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