“Synonyms” von Regisseur Nadav Lapid war so etwas wie der Überraschungsfilm 2019: Das autobiografische Werk des israelischen Regisseurs konnte den Goldenen Bären bei der Berlinale gewinnen, landete bei der jährlichen Top 10-Liste von Cahiers du Cinema auf Platz 3, und auch in unseren Jahrescharts landete der Film auf Platz 9.

Unsere Kritikerin Elli Leeb sah “Synonyms” bereits vor einem Jahr bei der Berlinale und schrieb damals: „Regisseur Lapid setzt auf unheimlich witzige sowie absurde und auch dramatische Szenen, bei denen dennoch nie der Ernst der Thematik verloren geht. Der Film mag vermutlich nicht für jedermann geeignet sein, sobald man sich allerdings darauf einlässt, ist er ungemein interessant. „Synonyms“ lädt selbst nach dem Kinobesuch noch zur intensiven Auseinandersetzung mit Gesehenem und Gehörten ein, weswegen wir hierzulande auf einen regulären Kinostart hoffen dürfen.“ (ihre ausführliche Kritik HIER)
Ich konnte den Film schließlich bei der Viennale im November sehen, und er fesselte mich von der ersten Minute an: “Synonyms” entwickelt eine ganz eigene Dynamik, ein irres Tempo, und kann auf einen hervorragenden Hauptdarsteller setzen, Tom Mercier, der hier eine der besten Schauspielleistungen des letzten Jahres abliefert – und das bei seinem Filmdebüt! Diese immersive Kinoerfahrung wirbelte schließlich sogar meine seit Monaten in Stein gemeißelte Jahresbestenliste durcheinander, und “Synonyms” setzte sich auf Platz 1 fest, den er bis zum Jahresende nicht mehr verließ. Dank dem kleinen Filmgarten-Filmverleih lief er schließlich sogar limitiert regulär in Österreich im Kino – und dort ist er nun auch als VOD zu sehen (mehr dazu unten).
Inhaltlich erzählt “Synonyms” vom jungen Israeli Yoav (Mercier), der lediglich mit einem Rucksack in Paris landet, und seine israelische Identität so schnell wie möglich hinter sich lassen, ja: auslöschen möchte (die Gründe dafür bleiben bis zum Schluss großteils im Dunkeln). Er spricht ab sofort nur mehr Französisch (auch mit Exil-Israelis in Paris), schlägt sich mit Gelegenheitsjobs, wenig Geld und einer Miniwohnung durch und freundet sich mit einem französischen Paar seines Alters an, das ihn unterstützen möchte.
Im Kern ist “Synonyms” die Erzählung einer tiefen Identitätskrise seiner Hauptfigur, die sich mit Absicht selbst entwurzelt, und stets an der Grenze zum Wahnsinn agiert. Dabei bleiben die Motive des Protagonisten oft nebulös, unklar, was ihn und seine immer schräger werdenden Aktionen umso interessanter machen. Merciers Yoav orientiert sich laut seinen eigenen Aussagen einerseits an französischen New Wave-Figuren und an “Zirkusdarstellern”, hat aber auch etwas von den klassischen New Hollywood-Antihelden und sogar Züge von Hemingways getriebenen und sich treiben lassenden Leidensmännern, die die Wirren des Lebens lakonisch über sich ergehen lassen. Ein großer Film, der viel, viel mehr zu bieten hat als das ihm oft verpasste Label “Die Geschichte einer Migration”: intensiv, dicht, temporeich, fordernd und herrlich ambivalent.

„Synonyms“ ist zu sehen auf (durch Klick direkt zum Film):
Vimeo, zur Verfügung gestellt von Filmgarten um 3€ (48 h-Leihe)
Und auf BluRay / DVD.
Die Kinos sind wegen Corona geschlossen, Filmfans müssen also vorerst mit Home Cinema und Streaming Vorlieb nehmen. Doch wie soll man aus dem Wildwuchs der Streamingdienste und dem Meer verfügbarer Filme das Richtige auswählen? Unsere Streaming-Tipps des Tages sollen hier Abhilfe schaffen: Jeden Tag präsentiert Film plus Kritik-Gründer und Chefredakteur Christian Klosz einen Film, der derzeit bei diversen Anbietern online als VOD verfügbar ist. Dabei handelt es sich oft um eher unbekannte Werke, Geheimtipps, die zum Kinorelease nicht die Aufmerksamkeit bekommen haben, die sie verdient hätten – oder überhaupt (noch) nie in den Kinos zu sehen waren -, und die gesammelt ein alternatives Filmprogramm für zuhause darstellen sollen. Die Filmtipps 1 bis 8 können auf unserer FB-Seite nachgelesen werden, und werden mit der Zeit auf der Website ergänzt.
Bilder: © Guy Ferrandis / SBS Films