Regisseur Sam Levinson gilt als eine der großen neuen Hoffnungen in Hollywood. Seine HBO-Serie „Euphoria“, in der die komplexen Emotionen einer Gruppe Teenager erforscht werden, löste einen Hype aus. Auch sein Spielfilm-Debüt „Assasination Nation“ – ebenfalls mit größtenteils jugendlichen Hauptdarstellern – kam nicht nur bei uns gut an. Im unter Lockdown-Bedingungen gedrehten „Malcolm & Marie“ probiert Levinson nun etwas Neues – es geht um Erwachsene, und das Szenario lässt sich leicht auf Levinson selbst übertragen. Malcolm ist Regisseur. Marie ist seine Freundin und ehemals drogenabhängige Muse. Ein Thema, dass auch schon in „Euphoria“ aufkam. In Schwarz-Weiß-Bildern entfesselt er einen Beziehungsstreit zwischen diesen beiden Konzepten, die als Figuren getarnt sind.

von Marius Ochs

Eine Stunde und vierzig Minuten – so lange dauert dieser Streit. Ein solches Szenario kann inhaltlich tatsächlich wertvoll sein, wenn es dabei einen gewissen Erkenntnisgewinn gibt und die streitenden Parteien eine Lernkurve an den Tag legen. Bei „Malcolm & Marie“ gewinnt und lernt niemand etwas, höchstens einige kreative neue Beleidigungen. Diese sollte man aber niemals einer Person ins Gesicht sagen, die man liebt. Laut geschriener Monolog reiht sich so an passiv-aggressiv gezischte Erwiderung, und dem Zuschauer drängt sich die Frage auf, weshalb man sich all das anschauen soll.

Das pseudo-intellektuelle Schürfen nach den tieferliegenden psychischen Problemen der Charaktere ist unglaubwürdig, was per se nicht schlimm wäre. Nein, Unglaubwürdigkeit ist nicht zwangsweise schlecht, solange das Konzept greift. Aber der Film versagt an dieser Stelle auf voller Linie. Für einen Beziehungsstreit braucht es, wenn schon keine interessanten, dreidimensionalen Figuren, wenigstens pointierte Dialoge, die versuchen, etwas auszusagen. Levinson aber inszeniert eine völlig überzogene Auseinandersetzung, bei der es nur darum zu gehen scheint, den anderen möglichst treffsicher zu verletzen. Zwei Fragen stellen sich während der Handlung deshalb immer wieder: 1. Warum geht ihr nicht einfach schlafen? 2. Wieso seid ihr überhaupt zusammen?

Was bei „Malcolm & Marie“ fehlt, ist irgendeine Form von Fortschritt innerhalb der Handlung. Levinsons Film dreht sich im Kreis. Interessante Aspekte, die der Film aufwirft, werden durch die Wutanfälle einfach übertönt. Raum zur Reflektion bleibt keiner, jeder gute Gedanke wird einen kurzen Moment später einfach von Wut erstickt. Fragen nach Identität, dem Verhältnis von Kunstwerk und dessen Vorlage, den Spannungen zwischen Künstlern und Kritikern – all diese Themen treiben Malcolm und Marie in ihrem Streit um. Hier hätte der Film sich bezahlt machen können. Doch Levinson entscheidet sich, seine beiden Hauptdarsteller wie Teenager, nein, wie Kinder agieren zu lassen, die sich wieder und wieder ihren Instinkten ergeben, anstatt tatsächlich eine tiefere Ebene zu erreichen.

Das können auch die wunderschönen Schwarz-Weiß-Bilder, mit Abstand das Beste am Film, nicht wettmachen. Hinter der schönen Fassade ist „Malcolm & Marie“ leider leer. Auch wenn sich mit John David Washington und Zendaya zwei der aktuell heißesten (im Sinne von angesagtesten) Hollywood-Sternchen im Cast finden, rettet auch das den Film nicht. Zumindest Zendaya spielt zwar wirklich stark, vor allem ihre letzte Szene ist wohl das Einzige, was vom Film in Erinnerung bleiben wird, aber Washingtons übertriebene Performance erinnert stellenweise im eher schlechten Sinne an Nicolas Cage. Um noch etwas Positives zum Schluss zu sagen: Der Soundtrack wurde hervorragend ausgewählt – insbesondere der Abspann-Song von Outkast mit dem Titel „Liberation“ dürfte vielen aus der Seele sprechen.

Fazit

In Netflix neuestem Kammerspiel kann die wunderschöne Schwarz-Weiß-Ästhetik nicht über die inhaltliche Leere hinwegtäuschen. Der Film sucht zu keinem Zeitpunkt nach einer Lösung oder einer produktiven Perspektive auf den dargestellten Disput. Die dargestellte Beziehung ist schlicht und ergreifend toxisch, der Erkenntnisgewinn gleich null. Es wird sehr viel geschrien und sehr viel geflucht (ein Trinkspiel bei jedem „fuck“ bietet sich an). Auch wenn es immer mal wieder Szenen gibt, die interessante Fragen aufwerfen, verweigert der Film einem durch seinen unsympathischen, lauten Ton jeglichen Raum zur Reflexion. Ein Streit, der besser hinter geschlossenen Türen ausgetragen worden wäre.

Bewertung

Bewertung: 3 von 10.

(34/100)

Bilder: ©Dominic Miller/Netflix

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