Zu Zeiten des Giallo war das Horror-/Thrillergenre in Italien eine große Nummer und hat mit Argentos „Muttertrilogie“ zweifelsfrei auch drei der wegweisendsten Genrefilme bis dato hervorgebracht. Aktuell ist es allerdings eher ruhig, und wenn man an die Werke aus dem Land des frisch gekürten Europameisters denkt, schlägt das cineastische Radar wahrscheinlich eher in die romatisch-komödiantische Richtung aus.
von Cliff Brockerhoff
Grund genug einen in den Fokus gerückten Horrorfilm näher unter die Lupe zu nehmen. Dieser hört auf den verdächtigen Namen „A classic horror story“ und ist kürzlich im Programm bei Netflix aufgenommen worden. Die Handlung ist dabei schnell umrissen: Fünf Reisende bahnen sich aus unterschiedlichsten Gründen via Fahrgemeinschaft ihren Weg in den Süden Italiens, nach einem Unfall verlieren aber alle das Bewusstsein und landen plötzlich weit weg von der Unfallstelle in einem düsteren Wald, nicht wissend wo sie sich genau befinden und was vor sich geht.

Rein storytechnisch klingt dies somit erst einmal nach einem guten Start für einen klassischen Horrorstreifen. Wir begegnen den typischen Charakteren, einer unbekannten Gefahr, einem schönen Mysteryeinschlag und irgendwie scheint auch ein Killer sein Unwesen zu treiben – zumindest wird zeitnah die Geschichte von drei Wesen etabliert, die im Wald umherstreifen und Jagd auf achtlose Reisende machen. Oder ist es gar eine Sekte, die hinter allem steckt? „A classic horror story“ legt viele Fährten, erinnert nicht ganz unfreiwillig an diverse, bereits existierende Genrebeiträge, verstrickt sich aber glücklicherweise nicht in zu vielen Wendungen, sondern geht einen Weg bis zum Ende und löst das Konstrukt eindeutig und befriedigend auf.
Bis dahin erleben wir allerhand surreale Ereignisse, schön platzierte Gruselelemente, eine nahezu durchweg schaurige Atmosphäre und zum Schluss bereichert das Werk sein Portfolio auch noch um eine bittersüße und nicht weniger selbstironische Komponente, die der Spaghetti die Bolognese aufsetzt. Soweit also alles fantastico, wären da nicht die ziemlich nervigen und blassen Charaktere, die jegliches Mitgefühl direkt im vino ertränken. Matilda Lutz, unter anderem bekannt aus dem spanischen Geheimtipp „Revenge“, legt sich zwar ins Zeug um das schauspielerische Talent anzuheben, spielt aber gegen affektiert wirkende Mitstreiter an. Dass diese bewusst überzeichnet sind um das Klischee durch den Kakao zu ziehen ist klar, nichtsdestotrotz wäre eine etwas seriösere Herangehensweise tatsächlich zuträglich gewesen.
Immerhin schafft es der Film sein Quintett durchgehend gekonnt in Szene zu setzen. Sämtliche Einstellungen sind schön inszeniert, die Effekte sehen handgemacht aus und auch die dargebotenen Kulissen sind stets wertig und vermitteln zumindest das Gefühl, dass sich die Handlung auch tatsächlich so zutragen könnte. Einen Kardinalfehler begeht das Werk allerdings dann doch, möglicherweise dem Umstand geschuldet, dass es neben fünf Akteuren im Film auch ganze fünf Drehbuchautoren gibt. Einer davon hatte scheinbar die Idee den einen oder anderen Hinweis auf die Auflösung einzubauen. Diese sind aber leider so offensichtlich, dass der Rätselspaß ein jähes Ende findet, insbesondere bei erfahrenerem Publikum. Geschickt platzierte Stilmittel können das Seherlebnis zweifelsohne aufwerten, hier erleben wir das genaue Gegenteil dessen.

Fazit
Fernab von Giallo und Co. wandelt “A classic horror story” auf gar nicht mal so klassischen Pfaden und biedert sich eher am amerikanisch modernen Genrefilm der letzten Jahre an, ohne dabei zu reproduktiv zu werden. Zum Hauptgericht à la Mama reicht es nicht, Kurzweiligkeit und die selbstironische Note bescheren aber eine schmackhafte Antipasti ohne fadem Beigeschmack. Ob das zum Klassiker reicht? Eher nicht.
Bewertung
(60/100)
Bilder: ©Netflix
Hunger auf noch mehr Horror bekommen? Hier folgt die Speisekarte.
Da werde ich mal reinschauen 🙂
Über weite Strecken kann ich der Besprechung folgen, aber dann gibt’s Statements, die aus meiner Sicht so gar nicht passen.
– REVENGE zählt zu meinen Favoriten (konsequent, innovativ, Regisseurin mit Potential) und dort erleben wir eine Matilda Lutz, die gute Figur macht UND ein Schauspielspektakel auspackt, während sie in A CLASSIC HORROR STORY zugeknöpft und sehr zurückgenommen agiert
– im Gegensatz zu hochgelobten amerikanischen Produktion, nehmen wir z.B. US von Jordan Peele, der sich vor lauter Anliegen in unsagbar viele Ecken und Enden verrennt, bleibt A CLASSIC HORROR STORY seiner Linie sehr treu und zeigt ganz konsequent einen europäischen, mafiös – alpinen Almhorror mit einem wunderbar gefilmten Ende
– deshalb stören auch die paar wenigen von dir kritisierten Hinweise und Fährten nicht wirklich
– und mit ihrer Vielfalt, Intelligenz und Innovationen weisen europäische Filmwerke wie SUSPIRIA (2018), REVENGE, A CLASSIC HORROR STORY usw. die amerikanischen Produktionen klar in die Schranken.
Deine Vorliebe für REVENGE kann ich nachvollziehen, auch ich mochte den Film (auch wenn er zuweilen ein bisschen zu übertrieben war). Matilda Lutz’ Rolle dort war aber ja auch eine etwas andere. Hier wollte ich lediglich darauf hinaus, dass sie in einem eher mittelprächtig spielendem Ensemble noch leicht herausragt. Nen Oscar gibt es dafür zweifelsfrei nicht. 😁
Wirklich störend fand ich die Hinweise auch nicht, ich war dann eher gespannt wie der Film dann den Bogen dahin schlägt. Es hatte mich nur leicht irritiert, dass der Film erst versucht möglichst nebulös zu wirken, dann aber letztlich doch schnell und etwas zu offensichtlich in eine Richtung marschiert. Hätte man besser lösen können, aber wenn 5 Leute ein Drehbuch schreiben, kann sowas natürlich passieren. //cb
Hm, für mich ging das alles zu sehr durcheinander und es wurde zu viele Genres zu vermengen, dass so alles irgendwie inkonsequent blieb. Vielen sehr gute Ansätze wurde nicht konsequent nachgegangen, so dass das Ganze auf mich letztlich u fertig wirkte. Um weiter der Metapher des des Essens zu folgen: alle Zutaten wurden blanchiert, aber nicht gar gekocht
Endlich mal jemand, der meine verwendeten Stilmittel wertschätzt! 🙃 stimmt schon, für 90 Minuten war ordentlich Inhalt und Subtext drin, am Ende war die Aussage aber ja dann doch mehr als eindeutig. Sicherlich keine Glanzleistung am cineastischen Firmament, aber für Netflix-Verhältnisse mehr als solide. //cb
Da steckt noch einiges mehr dahinter, … nehmen wir snuff, um nur ein Stichwort zu geben. Vielleicht ist der Beitrag auf LETTERBOXD hilfreich https://boxd.it/20glLl
I know, der Subtext des Films schlägt eindeutig in die Richtung aus und ist nicht zuletzt auch ein Kommentar zur Sensationsgeilheit der Menschen – nicht nur was den Härtegrad von Spielfilmen angeht. Den Punkt hatte ich allerdings bewusst aus Spoilergründen umschifft, da es ja quasi die Auflösung ist und zuviel vorwegnimmt wenn man den Film noch nicht selber gesehen hat. //cb
Vielleicht kennst du ja auch Peter Osterried von kinofans.com: er zieht Vergleiche zu Blairwitch Projekt, The Wicker Man, Wrong Turn und “Mid Sommar.
Der Hinweis auf Ari Aster ist verständlich, aber nur wenn man Feuer und Holz als ausreichende Parameter ansieht; ansonsten hat die nordisch-naturalistische Gemeinschaft rein gar nichts mit dem perversen Geschäftsmodell einer kalabrischen Mafia zu tun. Die nächste Zumutung ist der Vergleich mit “The Wicker Man”, wenn schon bitte die restaurierte Version aus 1973; aber auch das geht völlig daneben, denn mit Neopaganismus und der dort gezeigten feministisch-orgiastischen Gemeinschaft hat A CLASSIC HORROR STORY ebenfalls Null zu tun (die herausgeschnittenen Zungen ausgenommen). Was den Vergleich zu “Blair Witch Project” angeht: Wald und Angst sind wohl kaum ausreichende Vergleichsparameter und das eigentlich bezeichnende an BWP ist ja, dass es überhaupt keine Erklärung geben soll! Schließlich ist Peter Osterrieds Bezug auf “Wrong Turn” am befremdlichsten, denn auch hier ist bis auf Wald und Angst keine sinnvolle Parallele zu ziehen: WT ist ein eintöniges und eindimensionales Match der Ausflügler und des Medizinstudenten mit Kannibalen – was hat das denn mit A CLASSIC HORROR STORY zu tun?
Also wenn du den Kollegen triffst, dann liebe Grüsse aus Wien.