Den Namen Edgar Wright werden die meisten wohl am ehesten mit seiner sogenannten „Cornetto-Trilogie“ verbinden, in der der britische Regisseur Simon Pegg und Nick Frost nacheinander als Zombiejäger, Dorfpolizisten und Saufkumpanen in Szene setzte. Der spezielle und durchaus blutige Humor stieß auf große Gegenliebe und sicherte ihm eine treue Fanbase, doch er selbst war des Genres offenbar irgendwann überdrüssig, und wagte zeitnahe Ausflüge in andere Gefilde.
von Cliff Brockerhoff
Spätestens mit „Baby Driver“ zeigte er dann im Jahre 2017, dass er durchaus Talent für seriösere Stoffe besitzt. Die an der Musik ausgerichtete Melange aus Dramedy und Action-Thriller konnte Kritiker und Fans gleichermaßen überzeugen, doch das Ende der Kreativität war noch immer nicht erreicht. So steht uns nun mit „Last Night in Soho“ gar waschechte Mystery ins Haus, die alles bisher Dagewesene sprichwörtlich in den Schatten stellt und mit Horror-Schlagseite aufwartet.

Anhänger früherer Stoffe werden nun wahrscheinlich aufstöhnen. „Früher war alles besser!“ Diese Einstellung hegt auch Eloise „Ellie“ Cooper, Protagonistin des Films und Landei aus Überzeugung. Als die junge Modeschöpferin allerdings die Chance auf ein Studium in der Weltstadt London erhält, muss sie zum großen Sprung ansetzen und ihr behütetes Zuhause gegen das bunte, unübersichtliche Treiben eintauschen. Dabei ist ihr Faible für die „Swinging Sixties“ Fluch und Segen zugleich. Dient es einerseits als Zuflucht vor all der neumodischen Hektik, führt es auf der anderen Seite dazu, dass Ellie in ihren Träumen offenbar durch die Zeit reist und in einer Epoche landet, in der Frauen höchstens zur Bespaßung der männlichen Gesellschaft dienten und Rauchen noch als „sexy“ galt. Als ihre Ausflüge immer greifbarer werden, an Brutalität zunehmen und Auswirkungen auf die Gegenwart haben, muss Ellie abwägen was sich lediglich in ihrem Kopf zuträgt und was tatsächlich real ist.
Rein von der Prämisse her schafft sich Edgar Wright somit gleich zwei Welten, in denen er sich austoben kann. Dem tristen London der Neuzeit steht das Ebenbild der Metropole aus den 60’s gegenüber, das mit all seinen Clubs, grellen Werbetafeln und gut gekleideten Bewohnern einen krassen Kontrast bildet. Wenn Ellie nachts in die Rolle von Sandy schlüpft, ändert sich die Ausrichtung um 180 Grad und der harte Alltag weicht der beschwingten Leichtigkeit. Mittels Musik, Tanz und nostalgischer Verklärtheit entführt der Film in einen vermeintlich anderen Kosmos und schafft, gerade in der ersten Hälfte, eine schöne und ungemein immersive Atmosphäre, angefeuert vom abermals fantastischen Schauspiel von Anya Taylor-Joy, die in all ihrer Anmut und Eleganz sämtliche Szenen zu einem einzigen Highlight avancieren lässt. Es ist schier unglaublich welche Präsenz die blonde Akteurin in ihren jungen Jahren hat, und spätestens als sie ihre eigens eingesungene Version von „Downtown“ in das Mikrofon haucht, ist es um die Fassung der Herrschaften geschehen – im Film selber und vor den Leinwänden. Mit Thomasin McKenzie (Jojo Rabbit) steht ihr eine ebenso talentierte Schauspielerin zur Seite, die den direkten Vergleich allerdings nur verlieren konnte.
Apropos verlieren: auch der Film verliert sich leider irgendwann, und zwar in seiner Ambition. Wrights Versuch den Frohsinn in der zweiten Hälfte komplett auf links zu drehen ist durch geschickten Übergang anfangs noch stimmig, gerät aber zunehmend zur sich ständig wiederholenden Methodik, die nichts mehr zusetzen kann. Seinen Höhepunkt hat der Film irgendwo im zweiten Drittel, danach folgt ein deutlich zu langer Leerlauf und ein Ende, das zwar in den Gesamtkontext passt, jedoch nicht wirklich überrascht, geschweige denn erschüttert. Die Botschaft des Werkes und die Kritik an der Romantisierung der Vergangenheit fügen sich nahtlos in tagesaktuelle Thematiken, die überstilisierte Darstellung ist dabei allerdings obsolet und führt so eher zu unfreiwillig komischen Momenten, die die angepeilte Dramaturgie jäh untergraben. „Last Night in Soho“ muss sich somit den Vorwurf gefallen lassen, dass sich hinter all den schönen Bildern letztlich eine Geschichte versteckt, die man schneller und vor allem konsequenter hätte erzählen können. Wenn sich der Zigarettenqualm verzogen und die letzte Tänzerin ihr Make-up abgelegt hat, bleibt ein unfassbar schöner Film zurück, der gleichwohl unfassbar viel Potenzial liegen lässt weil er sich nicht traut, sich vollkommen aus seinem Korsett zu lösen.

Fazit
Edgar Wright erwrightert seine Schaffensphase mit „Last Night in Soho“ um sein bisher düsterstes Werk, kleidet Neo-Noir in neumodische Neonfarben, vergisst nur bei aller stilistischen Opulenz die Elemente nachhaltig zu verschmelzen. So ist der Ausflug in das London der 60’s visuell betörend, auf der erzählerischen Tonspur haben sich jedoch einige für ihn ungewohnte Schallplatten-Sprünge eingeschlichen, die den exzellenten Ersteindruck letztlich auf einen guten Gesamteindruck zurechtschneidern.
Bewertung
(70/100)
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