Ein Mann in der Sinnkrise: Paul Stern (Artjom Gilz) verliert seinen besten Freund Karl bei einem Unfall in der Natur (oder war es Suizid?). Durch Absenz dieses Fixpunktes in seinem sonst eher unerfüllten Alltag verliert er auch die Orientierung und beginnt sich in seinem eigenen Leben nicht mehr wohl zu fühlen. Stattdessen taucht er in die Existenzen anderer ein, indem er Handtaschen, Beutel, Rücksäcke wildfremder Menschen klaut und über die Inhalte Rückschlüsse über deren Identitäten zieht. So sammelt er dutzende Leben(sentwürfe) zuhause auf der Kommode, in denen er sich flüchtig verlieren kann, wenn er der Realität entfliehen möchte, anstatt sich mit seinen Gefühlen zu konfrontieren.

Schließlich geht Paul noch einen Schritt weiter: Er beginnt Affären mit der Managerin Katrin (Canan Samadi) und der Künstlerin Anna (Katrine Eichberger), greift aktiv in deren Leben ein und will die beiden zu ihrem Glück „zwingen“ – selbstredend geht das schief.

„Die Farbe des Chamäleons“ meditiert und reflektiert über eine verwöhnte Generation (Y), deren Sinnsuchen und Identitätskonflikte zum zentralen Lebensinhalt geworden sind: Wer alles sein kann, ist nichts wirklich, wahre Gefühle werden verdrängt und ersetzt durch aufgesetzte Posen, die nur „authentisch wirken“ müssen, um als echt zu gelten. Protagonist Paul scheitert an diesem Lebenskonzept. (Vermutlich) zum ersten Mal im Leben konfrontiert mit einer wahren Tragödie (dem Tod seines Kumpels) ist er unfähig, sich damit und mit den assoziierten Gefühlen auseinanderzusetzen. Stattdessen flüchtet er sich in kompensatorische Aktivitäten, die den Schmerz zwar kurz vergessen lassen, ihn aber nicht an der Wurzel packen. Paul wird zum Passagier durch fremde Leben, während ihm sein eigenes immer mehr zu entgleiten droht.

Debüt-Regisseur Jürgen Klaubetz präsentiert mit „Die Farbe des Chamäleons“ ein kluges und genau beobachtetes Gesellschaftsporträt, das zwischen hedonistischer Leichtigkeit und existenzieller Tragik schwankt. Der Film wurde bereits 2016-2018 gedreht und Ende 2020 erstmals aufgeführt (bei den Hofer Filmtagen, lief dann 2021 auf der Diagonale), dass sich seitdem sehr, sehr vieles auf der Welt geändert hat, ist offensichtlich. Insofern ist „Die Farbe des Chamäleons“ auch ein Trip in eine „andere Zeit“, Pauls Sinnkrisen erscheinen angesichts von Pandemie und Krieg irgendwie nebensächlich und wie „Luxusprobleme“. Interessant bleibt in diesem Kontext aber die Frage, wie „Generation Paul“ mit der aktuellen Lage umgehen wird, die sie nicht gewohnt ist. (Christian Klosz)

Diese und ähnliche Fragen wollen wir auch Regisseur Jürgen Klaubetz stellen, der am 13.3. zum Premieren-Screening (19:00) nach Wien kommt. Film plus Kritik zeigt da nämlich „Die Farbe des Chamäleons“ im Rahmen der Österreich-Filmreihe „einsA“ erstmals regulär im Kino in den Breitenseer Lichtspielen. Am 16.3. um 19:00 ist ein zweites Screening geplant. -> Tickets

Film plus Kritik verlost 3 Freikarten für den Premierenabend: Bei Interesse einfach eine Mail an filmpluskritik@hotmail.com schicken. Die Gewinner werden rechtzeitig per Mail verständigt.

Bild: (c) Jürgen Klaubetz