Die Überschrift dieses Artikels ist bewusst plakativ gewählt, da sie nur 2 mögliche Reaktionen erlaubt: Volle Unterstützung („Endlich traut sich das jemand offen zu fordern!“). Oder defensive Abwehr, wie sie in den letzten Tagen, nach Aufkommen des Falls Teichtmeister vor einer Woche, vielfach in der österreichischen Filmbranche zu hören und zu lesen war. Zu groß sei der „Verlust“ für alle Beteiligten, würde man Marie Kreutzers Film etwa aus dem Oscar-Rennen oder offiziell aus dem Verleih zurückziehen, wird argumentiert. Defensiv, denn offensive Einforderung des Prinzips „Trennung von Werk und Autor“ können sich viele Beteiligte nicht leisten, da sie in den letzten Jahren und im Zuge der metoo-Debatte genau dagegen Position bezogen hatten. Das Problem ist also kompliziert.

Kommentar von Christian Klosz

Bekanntlich muss sich der österreichischen Schauspieler Florian Teichtmeister wegen Besitzes von Kinderpornografie vor Gericht verantworten – und ist geständig. Im offiziellen Oscar-Kandidat Österreichs „Corsage“ spielt er eine Hauptrolle. Seit einer Woche wird auch diskutiert, wie mit dem Werk nun umgegangen werden soll.

Wir als Medium hatten uns immer gegen unreflektiertes und reflexhaftes „Canceln“, also Aus-dem-Verkehr-Ziehen von Werken oder Künstler/innen, ausgesprochen. Hier liegt der Fall allerdings anders: Ein reflektiertes und eigenmächtiges „Canceln“ der Macher/innen des Films mit Vorbild- und Nachdruck-Wirkung wäre angebracht. Denn es geht hier um mehr als reine Symbolpolitik.

In den letzten Jahren – großteils in Folge der metoo-Bewegung – war es in der Kulturbranche und vonseiten Kulturschaffender, auch in Österreich, usus geworden, aktiv (und oft auch sehr plakativ) gegen Missstände aufzutreten. Wie viel davon PR, Kalkül oder schlichtweg Heuchlerei gewesen war, mag jede/r für sich selbst beurteilen (Teichtmeister selbst hatte sich vor Kurzem im österreichischen Parlament gegen Gewalt an Kindern engagiert und Briefe von Opfern vorgelesen: Mehr Heuchelei geht nicht.) Fraglos lässt sich aber feststellen, dass nicht jegliche Äußerung zum Thema von hehren Absichten getragen war. Nun ist ja nicht grundsätzlich etwas gegen Selbstinszenierung einzuwenden: Gerade die Filmbranche lebt davon. Problematisch wird es, wenn all das nur reine PR und „Ettikettenschwindel“ bleibt und dahinter nichts geschieht. Missstände und Machtmissbrauch finden in vielfältiger Weise statt, ausschlaggebend sind am Ende Sensibilisierung und Handeln, das Umsetzen der Forderungen in der Praxis, nicht schicke Kampagnen, Fotos, Twitter-Posts oder moralisierende Äußerungen. Die schönste Oberfläche ist nichts wert, wenn dahinter der Abgrund lauert.

Damit wären wir beim Problemfall „Corsage“: Für die privaten Verfehlungen des Herrn Teichtmeister können natürlich weder Regisseurin, noch Produzenten etwas. Und diesen Film – übrigens auch bei unserem Ranking der besten Filme des letzten Jahres unter den Top 10 gelandet – auf ewig zu verbannen, wäre absurd. Es geht aber um mehr: Zum einen steht im Raum, dass Teichtmeister auch am Set von „Corsage“ Fotos von minderjährigen Darsteller/innen anfertigte, die er später zu pornografischen Collagen umgestaltet hat. Beim wenig später (und in Teilen noch NACH der Anzeige gegen ihn) gedrehten Film „Serviam“ war dies offenbar der Fall gewesen, Eltern einer Darstellerin hatten ihren Anwalt eingeschaltet und die Produktion verbieten lassen, dass sich Teichtmeister ihrer Tochter nähert. Dort war Betreffender nur 1 Tag am Set gestanden, bei „Corsage“ an vielen. Es ist eher unwahrscheinlich, dass es nicht auch dort ähnliche Vorfälle gegeben hat, zumindest sollten diese Fragen restlos geklärt werden. Denn es macht einen großen Unterschied, ob jemand im Privaten kriminelle und – im Fall der „Schnappschüsse“ – schwer problematische Handlungen begeht. Oder am Filmset, wo diese Verfehlungen dann quasi Teil des kreativen Prozesses sind, der zum fertigen Endprodukt führt.

Sollte man zweifelsfrei zum Schluss kommen, dass dies am Set von „Corsage“ nicht passiert sei, könnte man zum Ergebnis kommen, dass es hier tatsächlich möglich und legitim ist, „Werk“ von „Autor“ zu trennen, dass die privaten Verfehlungen des Mimen nichts mit der Produktion des Films zu tun hatten. Dann blieben aber die nun neu aufgetauchten Vorwürfe bezüglich sexueller Belästigung (Übergriffe?) eines anderen Darstellers des Films, die auch während der Dreharbeiten am Set passiert sein sollen. Der Name des Schauspielers ist bisher nicht öffentlich bekannt, wer sich aber die Premierenfotos aus dem Gartenbaukino ansieht, kommt schnell zum Schluss, dass nur 2 Personen dafür in Frage kommen. (Die Regisseurin Katharina Mückstein hatte zum Kinostart von „Corsage“ letzten Sommer gepostet, dass da bei der Premiere ein Gewalttäter auf der Bühne stehe – und man nichts dagegen unternehmen könne. Vorwürfe gegen den Betreffenden gibt es scheinbar schon seit längerem, nicht zuletzt nach einer Kampagne gegen Gewalt an Frauen vor 2 Jahren, an der er sich beteiligt hatte, die schließlich aber wegen seiner Mitwirkung zurückgezogen wurde. In der Branche ist der Name laut „Insidern“ bekannt, darf aber aus medienrechtlichen Gründen nicht genannt werden.)

Nun zum Sukkus des ganzen Desasters: „Corsage“ bezeichnet sich selbst als „feministischer Film“, der sich mit Machtstrukturen und -missbrauch auseinandersetzen will. Seine Regisseurin tritt seit längerem aktiv gegen jegliche Benachteiligung und Ungleichbehandlung, gegen Machtmissbrauch auf, sie war eine jener Filmemacherinnen, die sich letzten Herbst in einem Eklat den Verband Filmregie verlassen hatten. Der Vorwurf: Sexismus. Wie kann nun ein zweifellos sehenswertes Werk ohne Reflexion und Kontextualisierung als „feministisches Statement gegen Machtmissbrauch“ beworben und gefeiert werden, wenn am Set ebenjenes Films wahrscheinlich Formen von Machtmissbrauch stattgefunden haben? Wenn ein Hauptdarsteller, der den Ehemann der Protagonistin mimt, eine bekennender Pädophiler ist, der nachweislich auch auf Filmsets schwer problematisches Verhalten an den Tag gelegt hat? Es geht um Glaubwürdigkeit.

Natürlich ist denkbar, dass es beim Dreh weder die ominösen Teichtmeister-Fotos, noch die Übergriffe des anderen Darstellers gegeben hat. Oder dass es sie gegeben hat, die Kerncrew aber tatsächlich alles unternommen hat, um das zu verhindern oder aufzuklären. Oder wirklich nichts davon mitbekommen hat. Dann müsste man sich aber zumindest eingestehen, nicht genau genug hingeschaut und selbst Fehler gemacht zu haben.

Denkbar ist aber auch, dass alle im Raum stehenden Vorwürfe stimmen und BEWUSST unter den Teppich gekehrt wurden. Weil die Fertigstellung des kreativen Produkts (also auch: Geld, Prestige, Ruhm, Anerkennung) wichtiger war(en). Dann ist den Macher/innen hinter „Corsage“ ein direkter Vorwurf zu machen, eine gewisse Mitschuld müsste konstatiert werden. Dass dies dann gerade bei einem „feministischen Projekt“ vorgefallen wäre, würde umso schwerer wiegen und die Glaubwürdigkeit des Projekts und der Ideale dahinter umso stärker beschädigen.

Warum ist all das nun relevant? Zum einen steht der offizielle Oscar-Kandidat eines Landes auch immer repräsentativ für dessen Filmbranche, das Werk vertritt das Land in Hollywood „nach außen“. Sollte ein künstlerisches Werk Aushängeschild Österreichs sein, dessen Hauptdarsteller sich wegen Pädophilie vor Gericht zu verantworten hat, bei dessen Dreh es möglicherweise zu übergriffigem Verhalten mehrerer Beteiligter gekommen war?

Zum anderen: Wenn man tatsächlich etwas aus den metoo-Debatten gelernt haben will, dann das, dass es am Ende um Praxis geht, nicht um Theorie, nicht um Worte, sondern um Taten. Das Ziel muss sein, jegliche Formen von Missbrauch an Filmsets (und sonst wo) auszuschließen oder zumindest so gut es geht zu verhindern. Im Fall „Corsage“ treffen einander Symbol und Wirklichkeit: Das Symbol ist der Inhalt des Films, seine feministische Agenda; die Wirklichkeit erwiesenes kriminelles Verhalten zumindest eines Hauptdarstellers (möglicherweise auch am Set desselben Films). Und im Raum stehende Verfehlungen während der Entstehung des Werks, die, so der erhobene Vorwurf, unter den Teppich gekehrt wurden.

Ist das Werk wichtiger als die Wirklichkeit, Kunst wichtiger als die Moral, die diese Kunst predigt? Sollten es die Urheber/innen von „Corsage“ und die Verantwortlichen in der Filmbranche in Österreich tatsächlich ernst meinen mit ihren Anliegen, würden sie den Film aus dem Oscar-Rennen nehmen. Das wäre immerhin ein starkes Symbol, dass Taten wichtiger sind als Symbole. Dass es tatsächlich um die Sache geht, und nicht um Prestige, Geld und Ansehen. Geschieht das nicht, wäre das hingegen Beleg dafür, dass im Zweifelsfall ökonomische, künstlerische, finanzielle und auch egoistische Motive wichtiger sind. Und damit eine ethisch-moralische Bankrotterklärung einer gesamten Branche.

Infos zum Fall Teichmeister

Kritik zu „Corsage“

Titelbild: Fotomontage; Bildquellen: IFC Films bzw. Wikipedia (gemeinfrei)