Netflix hat erneut den Vogel abgeschossen: Während das Spielfilm-Programm des Streamingriesen immer mauer wird, sind es zuletzt vor allem die meist unterhaltsamen True Crime-Dokus und -Filme, die ein Abo weiterhin lohnenswert machen. Vor einem Monat erschien mit “Bernie Madoff: Das Monster der Wall Street” eine durchaus ernsthafte (und kritische) Auseinandersetzung mit betrügerischer Hybris im Zentrum kapitalistischer Wirtschaftssysteme. Diesen Monat ist es die tonal vergleichsweise lockere, aber nicht weniger eindrückliche 4-teilige Mini-Dokureihe “Gunthers Millionen”, die für Aufsehen sorgt. “True Crime” stimmt hier zwar nur bedingt, dafür ist die Serie voll von echtem Wahnsinn, der einen mehrfach ungläubig die Augenbrauen hochziehen lässt: “Tiger King” lässt grüßen.

von Christian Klosz

“Gunthers Millionen” beginnt mit der Vorstellung des reichsten Hundes der Welt: Gunther the Dog besitzt einen eigenen Treuhandfonds mit zig Millionen und kann sich damit dolce vita ohne Ende leisten. Oder besser: Sein “Verwalter” und Care-Taker Maurizio Mian (im Titelbild rechts vorne) kann das.

Der exzentrische Italiener erzählt, dass das Vermögen von einer reichen Gräfin stammt, einer Freundin seiner Mutter und Familie, die ihren Besitz vor ihrem Tod auf ihren geliebten Hund Gunther überschreiben ließ und ihn, Maurizio, mit der Verwaltung des Vermögens beauftragte. Dazu gab es im Testament eine Liste mit genauen Anweisungen, Geboten und Wünschen der Gräfin, wie das Geld eingesetzt werden soll. Diese habe ihren geliebten Sohn durch Suizid verloren, schildert Mian, und deshalb wollte sie sicherstellen, dass ihr Vermögen zur Erforschung von “Glück” eingesetzt wird. So zog Gunther samt Entourage (eigene Köche, Pfleger, PR-Leute,…) in die ehemalige Villa Madonnas in Miami, eine Boy/Girl-Tanz-Gruppe namens “The Burgundians” (siehe Bild unten) wurde gecastet, deren Aufgabe es war, sexy auszusehen und Spaß zu haben, und lebte gemeinsam mit dem reichen Hund dort. Die Mitglieder wurden rund um die Uhr von Kameras und Mian beobachtet, wie sie weiß Gott was miteinander trieben: Ein “wissenschaftliches Experiment über Glück” im Auftrag der toten Gräfin, wie stets betont wurde.

Was in “Gunthers Millionen” folgt, sind 4 unglaubliche 40-minütige Episoden, die so voller Verrücktheiten, Wahnsinn, exzentrischer Figuren und unerwarteter Twists sind wie seit “Tiger King” nichts mehr. Jeglicher Versuch einer Beschreibung wäre inakkurat – und würde zudem die Spannung mindern, einige deskriptive Schlagworte sollen trotzdem genannt werden: Betrug, Steuerhinterziehung, pseudo-wissenschaftliche Experimente, medizinische Wundermittel, die Suche nach dem Glück, Unglück, Sex-Orgien, die kultartige Erschaffung einer neuen, “perfekten” Menschenrasse, Pornostars als Präsidenten eines Fußballklubs, ein Hund als dessen Besitzer – und inmitten all dessen Gunthers Millionen. Und der dubiose Maurizio Mian.

“Gunthers Millionen” reiht sich ein in die Folge von Dokumentarfilmen und -serien über absurde Geschichten und exzentrische Charaktere – aber setzt noch eins drauf: Der “Star” der Geschichte ist natürlich die Geschichte selbst, die derartigen Appeal hat, dass man Augen und Ohren kaum abwenden kann. Dabei ist der reiche Hund mit dem Treuhandfonds noch das “normalste” an dem Ganzen, nur der Ausgangspunkt einer delirierenden, erschreckenden, amüsanten Erzählung über menschliche Höhen und Abgründe und die Suche nach (unerreichbarem) Glück. Maurizio Mian könnte als Figur einem schlechten Groschenroman entsprungen sein, er lebt(e) in moralischen Halbwelten und bis zum Ende ist nicht klar, ob er nun gepeinigter (Anti-)Held oder Bösewicht dieser unfassbaren Story ist. Oder beides.

Abgesehen vom Inhalt ist “Gunthers Millionen” von seinen Machern Aurelien Leturgie und Emilie Dumay clever konstruiert und inszeniert, die die Miniserie so aufgebaut haben, dass mit jeder Episode eine weitere Enthüllung, ein neues Aha-Erlebnis, ein weiterer “What the F*ck?!”-Moment auf die Zuschauer zukommt. Die Dramaturgie ist gut aufgebaut, die zahlreichen Interviews sind gut angeordnet und alles gekonnt geschnitten, sodass es ein stimmiges Ganzes mit schönem Spannungsbogen ergibt.

Fazit

Allzu viele inhaltliche Details können nicht über “Gunthers Millionen” verraten werden, ohne zu viel zu verraten. Die neueste Netflix-Miniserie setzt sich qualitativ jedenfalls ans oberste Ende der rezenten Doku-Serien und -Filme und kann mit einer aberwitzig verworrenen und twistreichen Story und einem unglaublichen Hauptdarsteller aufwarten (und damit ist nicht unbedingt der millionenenschwere Hund gemeint). Es bleibt an dieser Stelle nur noch eines zu sagen: Unbedingt ansehen. Seit 1.2. auf Netflix.

Bewertung

Bewertung: 10 von 10.

(95/100)

Bilder: (c) Netflix