Von Zeit von Zeit begegnet der aufgeschlossene Filmzuschauer immer wieder Werken, die nachhaltig wirken. Sei es weil er ein ganz bestimmtes Ereignis, beispielsweise den ersten Kinobesuch überhaupt, mit ihnen verbindet, er nichtsahnend mit einem Film konfrontiert wird, der im Laufe des Lebens zu seinen persönlichen Favoriten avancieren wird oder weil der Film aufgrund diverser Komponenten so unfassbar schlecht ist, dass er für immer im Gedächtnis verweilt. Grüße gehen raus an Tom Hoopers behaarte Katzenmonster, vielen Dank für dieses unvergessliche „Erlebnis“!

von Cliff Brockerhoff

Es gibt aber tatsächlich noch ein weiteres Szenario: hier sind Sichtungen betroffen, die, unabhängig von irgendeiner Wertung, so skurril, grotesk und seltsam sind, dass währenddessen die Stirn fast permanent in Falten liegt. Wem der Sinn nach einer Begegnung in dieser Art steht, dem soll an dieser Stelle „Pieles – Du kannst nicht aus deiner Haut“ nähergebracht werden. Offiziell im Jahre 2017 erschienen und auf diversen Festivals interessiert beäugt, hat das spanische Werk nun seinen Werk auf Netflix gefunden und sorgt für kollektives Kopfschütteln. Und womit? Mit Recht.

„Pieles“ ist kein einfacher Film. Weder in seiner offensichtlichen Inszenierung und schon gar nicht in seiner Aussage. Regisseur Eduardo Casanova ergründet in gerade einmal 77 Minuten die Frage nach der Definition von Schönheit, verpackt das Thema aber nicht in neongetränkten Bildern und technoiden Klängen wie es sein Kollege Nicolas Winding Refn einst in „The Neon Demon“ tat  – nein; Casanova wählt einen gänzlich anderen Zugang und lässt seine Zuschauer das offensichtlich „Unschöne“ erkunden. Wir begegnen deformierten Gesichtern, verbrannten Leibern, kleinwüchsigen Körpern, geistig Kranken und übergewichtigen Zeitgenossen. Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Diese message prügelt der Filmemacher unentwegt in die, die seinem Schauspiel mutig beiwohnen.

Als sei dies nicht schon genug Herausforderung, zeichnet Casanova seine Handlung in einer rosa/purpurnen Szenerie, die genauso gut einem Disney-Film hätte entsprungen sein können. Die verstörenden Bilder und Dialoge, eingefangen in zarten Farben, oftmals unterbrochen von auf Spanisch gesungenen Klängen. Ach ja, Nacktheit ist übrigens auch ein Thema. Wer sich an die Eröffnungsszene von „Nocturnal Animals“ erinnert, weiß in etwa was ihn erwartet. Die Frage, die sich nun aber zwangsläufig aufdrängt, ist die nach dem Sinn. Schafft der Film es hinter all seiner Optik auch eine runde Geschichte zu erzählen? Die Antwort: Jein.

Anfangs wirkt alles sehr zusammenhanglos und erweckt den Eindruck, dass möglichst viel in möglichst wenig Zeit verpackt werden soll um dem Zuschauer vor den Kopf zu stoßen. Soll er sich doch selber einen Reim auf alles machen, schließlich hat er sich ja bewusst dazu entschieden sich mit dem Werk auseinanderzusetzen. Und ja, leider verbleibt „Pieles“ auch im weiteren Verlauf eher austauschbar und schafft es nicht seinen Charakteren Tiefe zu verleihen. Jeder Absurdität ist Mittel zum Zweck um eben die Aussage zu etablieren, die omnipräsent über allem schwebt. Die Verbindung zu den Protagonisten per se fällt schwer, lediglich ihr Schicksal kann Emotionen hervorrufen. Gegen Ende führt Casanova seine rosanen Fäden zwar zusammen, sodass es zumindest eine gewisse Belohnung für die geduldigen Zuschauer gibt; wirklich rund wirkt das alles aber zu selten.

Fazit

Im spanischen Drama wird der Begriff des Arschgesichtes neu definiert. Sehr extravagant, mit Sicherheit einzigartig, visuell erbarmungslos und in seiner Tonalität eher tieftraurig statt schreiend komisch. Ohne Zweifel überambitioniert, aber der sozialkritische Kommentar trieft aus jeder möglichen Körperöffnung und kommt einem Plädoyer für die Akzeptanz von Andersartigkeit gleich. „Pieles“ ist keine schöne Seherfahrung, doch das Werk hinterlässt einen bleibenden Eindruck und beschäftigt auch noch Tage nach der Konfrontation.

Wertung

Bewertung: 6 von 10.

(56/100)

Bilder: ©Netflix

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