Filmemacher machen sich gerne persönliche Schmerzgrenzen ihrer Zuschauer zu Eigen, indem sie ihre Werke so anlegen, dass die Erzählung immer wieder geschickt um eine Linie schleicht, um sie dann zu überschreiten. Dies kann ganz unterschiedliche Auswüchse annehmen. Viele nutzen beispielsweise den Grad der Gewalt, einige schaffen durch verschobene Moralvorstellungen Reibungspunkte und wiederum andere laben sich an der Missachtung der Ethik. Im Falle von „I care a lot“ spielt Brutalität lediglich eine untergeordnete Rolle, die letzten beiden Punkte treffen jedoch den Nagel auf den Kopf.
Denn darin erzählt der Engländer J. Blakeson, seines Zeichens Regisseur, Produzent und Drehbuchautor in Personalunion, von Marla Grayson, einer erfolgreichen Trickbetrügerin, die sich mit Hilfe ihrer Spitzfindigkeit ein Leben als Betreuerin von Senioren aufgebaut hat. In sorgsamer Zusammenarbeit mit Ärzten, Richtern und Altersheimen erleichtert sie die Greise um ihr hart verdientes Hab und Gut, alles unter dem Deckmantel der Fürsorge. All dies wird zu Beginn der Erzählung auch schon preisgegeben, sodass sich die Frage aufdrängt wie unterhaltsam der weitere Verlauf sein kann. Doch eine plötzliche Umkehr der Vorzeichen sorgt für einen abrupten Stimmungswechsel und der Film nimmt seine Betrachter mit auf eine wilde Reise.

Anfangs passt bei dem offiziell als „schwarze Komödie“ vermarkteten Werk dabei wenig zusammen. Funkige Beats umrahmen den Einstieg in die Story, der alles andere als „funky“ wirkt und vielmehr die Empathie beim Zuschauer reizt, da Marla mit schier unfassbarer Dreistigkeit ihrem Handwerk nachgeht und sich an der Unwissenheit und Scheu anderer bereichert. In einem vorangestellten Monolog gibt sie an lieber Jägerin als Beute sein zu wollen. Mit Fairness bringe man es nicht weit im Leben, und sie habe ihre Wahl nun einmal getroffen. Als sich relativ schnell eine bemitleidenswerte Dame zu ihren Opfern gesellt, hat der Film bereits im ersten Drittel eine verquere Ethik etabliert und nebenbei wehrlose Menschen, entgegen jeder Sittsamkeit, der selbsternannten Löwin zum Fraß vorgeworfen. Just als eingangs erwähnte Schmerzgrenze endgültig zu fallen droht, wird aus der Jägerin aber die Gejagte.
Mehr zur Handlung kann und soll an dieser Stelle gar nicht preisgegeben werden, denn Blakesons Werk strotzt im weiteren Verlauf nur so vor Überraschungen, die unvorbereitet einen weit größeren Effekt erzielen. Anders als die Leidtragenden innerhalb der Story entmündigt der Engländer seine Zuschauer nicht und lässt sie voyeuristisch an der weiteren Entwicklung teilhaben. Wo zu Beginn noch eine klare Schwarz-und-Weiß Abstufung zu sehen war, werden nach und nach immer mehr Graustufen gezeichnet. Böse gegen noch böser, moralisch verwerflich trifft auf moralisch nicht vertretbar – die insgesamt zweistündige Handlung geizt nicht an Highlights, oftmals via klassischer Dialoge eingebettet und von modernen Klanggerüsten untermalt. Die Heterogenität schwindet zunehmend und „I care a lot“ wird zum stimmigen Zusammenspiel verschiedener Gemütszustände, das zum Diskurs einlädt.
Ein Element ragt aber fortwährend aus der stimmigen Gemengelage heraus und hört auf den Namen Rosamund Pike. Auch wenn der komplette Cast hervorragend besetzt ist, ist es insbesondere die blonde Britin, die jede Szene mühelos an sich reißt. Mit ihrem perfekt frisierten Bob, ihrer engelsgleichen Zunge und schier unangreifbaren Perfektion schwankt die Wahrnehmung des Betrachters immer wieder zwischen Bewunderung und Abscheu. Ihr Charisma ist omnipräsent und ihre Leistung knüpft mühelos an die in David Finchers „Gone Girl“ an, wo sie eine ähnliche Rolle bekleiden durfte. Leider fliegt Pike auch nach Jahren im Business immer noch irgendwie unter dem Radar, zeigt sich hier aber von ihrer allerbesten Seite und spielt beängstigend gut auf. Es soll aber natürlich auch nicht unerwähnt bleiben, dass sich mit Peter Dinklage, Dianne West oder Eiza Gonzalez noch viel mehr Talent in der Besetzung finden lässt. Doch egal wie sehr sie sich strecken, Pike überstrahlt sie alle und rechtfertigt somit mühelos ihre Nominierung als „Beste Schauspielerin“ bei den diesjährigen Golden Globes.

Fazit
The American Dream gone wrong – Netflix neuester Spielfilm funktioniert letztlich weniger als schwarze Komödie, sondern viel eher als elektrisierender Thriller mit zielsicher dargebotenen Wendungen und einem grandiosen Finale. Blakeson intoniert seine Kritik am Kapitalismus in der fiesesten Art und Weise und beweist ganz nebenbei, dass ein gut geschriebenes Drehbuch auch nach über 130 Jahren Bewegtbild immer noch am besten als Köder funktioniert um sein Publikum nachhaltig zu begeistern.
Bewertung
(84/100)
Bilder: ©Netflix
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denkt wirklich irgendein Mensch daran das die beiden Frauen die guten in dem Film sind? Es geht um die Liebe zur Mutter die den Mann antreibt Sie zu retten, aber es wird dargestellt als wären die Feministinnen im Recht obwohl sie die Besitztümer von Rentnern an sich nehmen. Ich hasse die beiden Hauptprotagonistinnen und wünsche ihnen den schmerzvollsten Tod den die russische Mafia ihnen gestattet.
mfg Wolfderoeden