Chloé Zhao hätte es sich deutlich einfacher machen können in ihrer Karriere. Nicht nur, dass die gebürtige Chinesin mit ihren Filmen eher spezielle Interessen bedient, sich gleichzeitig aber zeitnah im Marvel Cinematic Universe austoben wird, nein, auch durch Aussagen hinsichtlich der politischen Lage in ihrem Heimatland hat sich die mittlerweile oscarprämierte Regisseurin einige Chancen verbaut. Ihre Filme werden in China boykottiert, erfahren keine Kinoauswertung und Zhao wird als persona non grata behandelt.

von Cliff Brockerhoff

Konsequent meinen die einen, leichtfertig die anderen – denn Zhao gehört trotz ihres jungen Alters unbestritten zur Speerspitze der aufregendsten Filmemacher der Neuzeit. Kein Wunder also, dass auch ihr neuestes Werk „Nomadland“ schnell in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt ist. Ähnlich wie 2017 in „The Rider“ ist auch ihr aktueller Film eine sehr eigenständige Mischung aus Drama mit dokumentarischem Einschlag und sphärischer Bilderflut. So, wie ein Terrence Malick sie gerne beherrschen würde, wenn er sich nicht längst in überbordender Philosophie ergangen hätte.

Mittendrin: Frances McDormand. Die Frau, die in „Three Billboards outside Ebbing, Missouri“ noch die rebellische Provinzlerin mimte, die der Exekutive nicht nur im übertragenden Sinne den Mittelfinger zeigte und vollkommen zu Recht den Oscar einheimste. In „Nomadland“ erleben wir die US-Amerikanerin von einer gänzlich anderen, nicht minder eindrucksvollen Seite. Nach dem Verlust ihres Ehemanns entschließt sich Fern für eine Leben auf der Straße, allerdings nicht als Obdachlose, sondern als Nomadin, die ihrem Gespür folgt und jenseits sämtlicher Konventionen wandelt. Dabei begegnet sie zahlreichen Gleichgesinnten, Leidensgenossen und durchstreift diverse Ecke des Landes. Es ist jedoch nicht die Rastlosigkeit, die sie antreibt. Es ist vielmehr die Suche nach Zugehörigkeit und Heimat. Dinge, die Fern schon lange nicht mehr mit einem festen Wohnsitz verbindet.

Während dieser Suche erleben wir hautnah die Findungsphase der Protagonistin, die pausenlos von ihren zufälligen Begegnungen inspiriert und geprägt wird. Hervorzuheben ist, dass der Großteil des Casts aus realen Personen besteht, die nicht professionell schauspielern. Zhao verfeinert somit ihren adaptiven Realismus, der die Geschichte automatisch menschlich und zugleich glaubwürdig macht. Die größte Stärke des Films entsteht durch eben jene Authentizität und der Fähigkeit Gegensätze in Einklang zu bringen. Die beengten Situationen innerhalb Ferns Van werden durch weit aufgezogene Landschaftsaufnahmen gebrochen und der zeitweise aufkeimenden Einsamkeit wird mit Solidarität, bedenkenloser Hilfsbereitschaft und einem greifbaren Gemeinschaftsgefühl entgegen gewirkt. Der Zusammenhalt rührt zu Tränen, wärmt die Seele der Zuschauer auch in der kältesten Nacht und transportiert die angestrebte Emotion in höchstem Maße. Besonders wenn kein Wort Dialog gesprochen wird, erzählt der Film so viel mehr als viele andere in zwei Stunden – vorausgesetzt man ist fähig dem Score, aber auch den Bildern und Blicken zu lauschen.

Hier liegt allerdings gleichzeitig auch das Problem von „Nomadland“. So betörend die wundervollen Bebilderungen auch sein mögen und so eindrucksvoll sich McDormand auch zu einer neuerlichen Meisterleistung aufschwingt – Zhaos Drittlingswerk wirkt trotz akribischer Vorbereitung, versierter Inszenierung und der schmerzhaft schöner Melancholie phasenweise kraftlos und nicht fähig der optischen Komponente eine ebenso große Geschichte zur Seite zu stellen. Das will „Nomadland“ womöglich auch gar nicht, da er bewusst die subjektiven Erlebnisse Einzelner in den Fokus rückt. Aber wenn die Tür zur Kapitalismuskritik schon öffnet und der american dream sarkastisch adressiert wird, sollte das Narrativ zumindest in der Lage sein Substanz zu vermitteln. Stattdessen irritiert vor allem die leicht glorifizierte Darstellung des größten Versandhandels und die Art und Weise mit der Erzähltes wieder relativiert wird. Diese Auffälligkeit hemmt die Homogenität, lässt Zweifel an der so spielerisch etablierten Glaubwürdigkeit aufkeimen und beraubt das Drama letztlich einem Stück emotionaler Wucht.

Fazit

„Nomadland“ ist unverkennbar Chloé Zhao, atmet ihre künstlerische Freiheit durch jede verstaubte Pore und profitiert von seiner umwerfenden Hauptdarstellerin. Die filmische Verarbeitung der Suche nach Freiheit, Heimat und dem Sinn des Lebens ist wunderschön anzusehen und trotz traurigem Unterton stets lebensbejahend, am Ende der Reise aber nicht so berührend, wie sie hätte sein können. Gerade angesichts der letzten, bärenstarken Minuten ist es beinahe ärgerlich, dass sich „Nomadland“ manchmal selbst im Weg steht. Nichtsdestotrotz ein starker Film, dessen Vorschusslorbeeren einen bitteren Beigeschmack haben.

Bewertung

Bewertung: 7 von 10.

(74/100)

Bilder: ©Searchlight Pictures

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