Es ist nun rund 25 Jahre her, seit “Titanic” das erste Mal im Kino zu sehen war: Der 8.1.1998 war der offizielle Starttermin in Deutschland und Österreich, in den USA lief der Film am 19.12.1997 an. Nach der erfolgreichen Wiederaufführung von “Avatar” Ende letzten Jahres – und im Fahrwasser des Kinoerfolgs von “Avatar – The Way of Water” – ist es der nächste James Cameron-Streifen, der eine (limitierte) Neuauflage feiert: Denn die “größte Liebesgeschichte aller Zeiten” ist ab 9.2.2023 erneut (kurzfristig) weltweit in den Kinos zu sehen.
von Christian Klosz
Der (gemeinsam mit “Der Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs”) meistprämierte Film aller Zeiten bei den Oscars war lange Zeit ebenso der erfolgreichste Film an den Kinokassen. Regisseur James Cameron schuf ein universell zugängliches und – zum damaligen Zeitpunkt – technisch atemberaubendes Werk, das Dramaturgie, Inszenierung, Immersion und Emotionalität auf eine neue Ebene hob. Eingeflochten in die Liebesgeschichte eines (aufgrund sozialer Zwänge) unmöglicher Paares waren moderne Mythen über den “amerikanischen Traum”, sozialen Aufstieg und Ausstieg, technischen Fortschritt und Fortschrittsglauben, alles vor dem Hintergrund des Untergangs der Titanic, der zugleich die Brüchigkeit all dieser gesellschaftlichen und technischen Versprechungen symbolisierte, die das frühe 20. Jahrhundert prägten.
Die in der (damaligen) Film-Gegenwart stattfindende Wiederentdeckung der gesunkenen Titanic auf dem Meeresgrund ist auch ein Wieder-Verbinden mit der Vergangenheit und deren Versprechungen, die Mitte der 1990er Realität geworden waren: High-Tech-Geräte ermöglichten im Film das Aufspüren und Finden des gesunkenen Schiffs und dessen Bergung, so wie Entwicklungen im Bereich des Films es erst möglich machten, diese Geschichte(n) via Kino-Maschine zu erzählen und greifbar zu machen. Auch hier schließt sich ein Kreis: Die 90er gelten vielen als Jahrzehnt eines Höhepunktes menschlicher Zivilisation, eine Zeit voller Optimismus, in der viele Fortschrittsversprechungen, die 1912, zur Zeit, als die reale Titanic das erste (und letzte) Mal auslief, erst am Beginn standen, Wirklichkeit geworden waren; in der die Nützlichkeiten und Versprechungen technischen Fortschritts deren Schattenseiten dominierten. “Titanic” ist so – trotz des tragischen Schicksals seiner Protagonisten – ein durch und durch hoffnungsvoller Film, ein Kind seiner (Entstehungs-)Zeit. Wie das durch die Brille der düsteren Gegenwart gelesen werden kann, die sich in vielem wie ein Rückschritt um Jahrzehnte, ja Jahrhunderte anfühlt, und welche Analogien sich hier feststellen ließen, wäre eine eigene, zu erörternde Frage.

“Titanic” wurde öfter Kitsch oder Sentimentalität vorgeworfen, als sein Kern die romantische Liebesgeschichte zwischen Jack und Rose, gespielt von Leonardo die Caprio und Kate Winslet, die danach zu Stars wurden und deren fiktionale Liebe aufgrund sozialer Klasseunterschiede nicht sein darf, aber trotzdem ist, gesehen. Natürlich ist diese Lesart zulässig. Und wer ein Faible für (melo-)dramatische Liebesgeschichten hat, findet kaum eine bessere, größere unter den Kinofilmen der letzten Jahrzehnte.
Der wahre Grund aber, warum “Titanic” damals so viele erreichte und auch nach 25 Jahren immer noch fesselt, ist vielmehr jener, dass er wie nur wenige andere Filme dieser Dimension die modernen Mythen westlicher Gesellschaften, die hellen Versprechungen und Schattenseiten eines unabdingbaren Fortschrittsdenkens abbildet und darstellt, sie zwar kaum kritisch hinterfragt, aber greifbar und fühlbar macht – und so als eine der zentralen (filmischen) Erzählungen der westlichen Zivilisation in die Geschichte eingehen wird. Während der Zeitpunkt der Veröffentlichung vor 25 Jahren einer des Triumphes dieser Ideale war, soweit, dass Politologe Francis Fukuyama bekanntlich vom “Ende der Geschichte” sprach, stehen wir nun, 25 Jahre später, hinter einer Weggabelung, die jener vor rund 100 Jahren nicht unähnlich ist. Die eingeschlagene Richtung ist die gleiche wie damals. Doch die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Titanic, deren symbolischer und mythischer Bedeutung als Ereignis und als Erzählung und der Geschichte von “Titanic” kann trotz allem tröstlich sein.
Bewertung
(90/100)
Bilder: (c) Disney