Was haben “The Adventures of Baron Munchausen” (1988) und “12 Monkeys” (1995) miteinander gemein, abgesehen davon, dass Terry Gilliam bei beiden Filmen Regie geführt hat?

Im Rahmen einer Retrospektive seiner Werke im Gartenbaukino in Wien wurden beide Filme als Double Feature präsentiert.

von Richard Potrykus

Terry Gilliam

Zuvor gab der amerikanische Regisseur noch ein Interview und damit Einblicke in sein Schaffen und sein Leben. Dabei erzählte Gilliam, dass er als Jugendlicher im Nebenzelt eines Zirkusses aushalf, wenn dieser in der Stadt Los Angeles gastierte. Dort machte er Bekanntschaft mit Artist*innen, die die Ausläufer dessen bildeten, was einst als Freak Show bekannt war, und Gilliam durfte erkennen, dass jene, die in der Manege als “Reptile Man” und “Alligator Boy” ihre Kunststücke vollführten, abseits des Zeltes und ohne Make-Up normale Menschen (“ordinary people”) waren. Was aus heutiger Sicht und im Rahmen von Inklusion als selbstverständlich gilt, beeindruckte den Filmemacher, der seine Kunst auch als eine Form von Magie versteht, nachhaltig, und so kommt es nicht von ungefähr, dass seine Filme randvoll sind mit kuriosen Gestalten, dass die Helden nicht der Norm entsprechen und dass nicht zuletzt das Szenenbild oft wie ein Wimmelbild erscheint.

Sowohl “Munchausen” als auch “12 Monkeys” stehen eindeutig in der Tradition dieser Erkenntnis. Diejenigen, die anders aussehen, unterscheiden sich nur durch ihre Verkleidung vom Rest, und das, was als Realität angesehen wird, ist unter Umständen etwas völlig anderes.

“The Adventures of Baron Munchausen” – “When they weren’t working – with their make up on – they were ordinary people.”

Die Figur des Barons von Münchhausen existiert seit der frühen Neuzeit. Ihm werden allerhand fantastische Geschichten zugeschrieben, wie zum Beispiel der Ritt auf einer Kanonenkugel. In Gilliams Film werden diese Geschichten aufgegriffen und miteinander zu einer großen Handlung verbunden. Dabei werden mehrere Erzählebenen eingeführt, wodurch das Publikum gerade am Anfang und am Ende des Films nie genau sagen kann, was real und was erfunden ist. Wohl aber steht die Forderung im Raum, das, was als fremd angesehen wird, zum Freund und damit zum Teil der eigenen Gemeinschaft zu machen.

Alles beginnt mit der Belagerung einer nicht weiter benannten Stadt durch die Türken. Noch in der größten Not werden für die Soldaten Theaterstücke zur Erheiterung aufgeführt. Eine nicht ganz professionell wirkende Truppe, rund um deren Chef und Hauptdarsteller Henry Salt (Bill Paterson) inszeniert dabei die Abenteuer des legendären Barons als Farce, als jener (John Neville) plötzlich wirklich erscheint und fordert, seine Abenteuer selbst und so zu erzählen, wie sie sich tatsächlich zugetragen haben.

Er beginnt mit der Episode über eine Wette mit dem türkischen Sultan (Oliver Reed), welche ohnehin der Grund für den tatsächlich stattfindenden Krieg und die damit einhergehende Belagerung der Stadt sei. Um seine Geschichte zu visualisieren, werden seine Worte auf der Bühne von den Schauspieler*innen der Truppe nachgestellt. Dann gibt es die Überblende, wie sie auch aus anderen Filmen bekannt ist, und aus der Bühne wird der wahrhaftige Orient. Und genauso, wie auch das künstliche Bühnenbild für eine vermeintlich reale Geschichte adaptiert wird, finden sich die Personen auf beiden Seiten des Vorhangs.

An dieser Stelle greifen Gilliams Erlebnisse aus seiner Jugend, als er im Zirkus auf die Freaks, die “exotic characters”, traf. Er sieht im Menschen nicht allein die Summe seiner Teile und lässt Figuren über sich hinauswachsen. Und da er das Ganze in einem Film macht, ermöglicht er dem Publikum die gleiche Leistung. Fantasievoll klettern so der Baron und seine Gefährten vom Mond herab und als sie merken, dass ihr Seil nicht lang genug ist, schneiden sie oben ein Stück ab, um es unten wieder festzuknoten. -Wer mag da widersprechen?

Und auch wenn der Film nicht unter einem guten Stern stand, Gilliam bezeichnet die Produktion von “Munchausen [as a] complete nightmare”, so ist er am Ende doch ein Werk, welches von vorn bis hinten die Handschrift des Regisseurs trägt. Der König im Mond kann wie selbstverständlich seinen Kopf vom Rest des Körpers trennen, und um sich aus dem Schlund eines monströsen Fisches zu befreien, reicht eine Portion Schnupftabak. Am Schluss gipfeln die Erzählungen dann in der ultimativen Verklärung der einfachen Realität und die Ebenen überschlagen sich.

Vor dem Hintergrund des Interviews kann das Ende des Films durchaus allegorisch gelesen werden. Der Baron erzählt die Geschichte, wie er die Türken besiegt habe und fordert sein Publikum auf, ihm zu vertrauen und die Stadt zu verlassen. Die Türken, so seine Behauptung, wären bereits fort. Und tatsächlich finden die Menschen lediglich die verlassenen Zelte der Belagerer vor.

Gilliam wird hier zum magischen Mahner. Ausgehend von seinen Erlebnissen in seiner Jugend lässt er den Baron, diesen “exotic character”, nicht als den irrwitzigen Künstler, Illusionisten und eventuellen Hochstapler erscheinen. Er wischt quasi das Make-Up von den Geschichten und lässt sie als etwas Normales erscheinen. In einem übertragenen Sinne fordert er das Publikum so auf, die Freaks nicht als Fremde oder gar Feinde zu betrachten, sondern als Teil der eigenen Gemeinschaft.

„12 Monkeys“ – “I hate the hierarchy of filmmaking”.

Demgegenüber stehen die Ereignisse aus “12 Monkeys”. Hier präsentiert der amerikanische Regisseur eine kafkaeske Erzählung über ein Virus, Zeitreisen und Menschen innerhalb und außerhalb psychiatrischer Einrichtungen sowie innerhalb und außerhalb von Gefängnissen. Wieder stellt Gilliam die Frage, was real ist und was nicht, doch dieses Mal steht nicht das Publikum im Fokus. Es sind die Figuren im Film, die sich gegen Umstände oder Autoritäten behaupten müssen.

Die Krux daran ist, dass auch die Autoritäten den Umständen ausgeliefert sind und sich allein auf externe Informationen berufen und verlassen können. Und während die Hauptfigur, die vor Ort ist und alles miterlebt, nach und nach an sich selbst zweifelt, haben die Autoritäten ihre Urteile längst gefällt.

Gilliam erzählt die Geschichte von James Cole (Bruce Willis), einem Gefangenen aus dem Jahr 2035. Ein Virus hat 99 Prozent der Menschheit ausgerottet, das überlebende ein Prozent lebt in unterirdischen Einrichtungen. Cole wird als vermeintlicher Freiwilliger auserkoren, in das Jahr 1996 kurz vor Ausbruch der Epidemie zurückzureisen, um Informationen über das Virus zu sammeln. In der Vergangenheit (zunächst im Jahr 1990) trifft er einerseits auf die Psychiaterin Dr. Kathryn Railly (Madeleine Stowe) und andererseits auf Jeffrey Goines (Brad Pitt), Patient in einer psychiatrischen Klinik und Sohn eines berühmten Wissenschaftlers.

Gilliam spricht im Interview allgemein über die Verhältnisse während einer Filmproduktion. In Amerika würde der Regisseur als “God” angesehen. Hierdurch würde er unantastbar, sein Wort und sein Handeln zum Gesetz. Gilliam argumentiert, dass niemand überall gleich talentiert wäre. Unterschiedliche Menschen haben unterschiedliche Qualitäten und jeder Mensch kann etwas zur Produktion beitragen.

In diesem Sinne sieht sich Cole in “12 Monkeys” zahlreichen Regisseuren gegenüber. Alle erzählen sie ihm, was er zu machen habe, und entscheiden selbst, ob das, was er sagt, stimmt oder nicht. Nach und nach zweifelt Cole an sich selbst und fasst erst wieder Vertrauen, als ihm eine andere Figur zuhört und sich für ihn einsetzt.

“12 Monkeys” bedient das Narrativ der Zeitreise und wie immer in solchen Fällen geht es um die Verknüpfung von Ursache und Wirkung. Cole wird gefragt, ob er die Menschen retten, sprich den Ausbruch des Viruses verhindern würde. Da das Virus jedoch bereits ausgebrochen sei (aus zukünftiger Sicht), wäre er lediglich in der Vergangenheit, um die Spuren des Viruses zu sichern. Tatsächlich stammt die Information über die Ausweglosigkeit der Situation von den Autoritäten aus der Zukunft. Das Ziel steht somit schon von Beginn an fest und niemand soll daran rütteln.

Nun soll “12 Monkeys” wohl nicht die Systeme der amerikanischen Filmindustrie kritisieren, aber es verdeutlicht, wie schwer es ist, etwas zu erreichen, wenn andere schon im Vorfeld entschieden haben, wie es enden soll.

“Madeleine Stowe, she is the heart of the movie. She holds the thing together.” So lautet Gilliams Kommentar zur Figur der Dr. Railly und tatsächlich ist sie es, die übernimmt, nachdem Cole bereits gebrochen wurde. Sie treibt ihn und die Handlung stetig voran, ist Motivation und Gewissen in einem, doch auch sie soll am Schluss am Willen der Autoritäten scheitern.

Titelbild: (c) imgbin / Bild Terry Gilliam: CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=89502592