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Immer wieder gibt es Schlagzeilen, nach denen Filme oder Serien mit Warnhinweisen versehen würden, weil die jeweiligen Werke bestimmte Inhalte und/oder Anschauungen repräsentierten. Die mediale Empörung folgt stets auf dem Fuße und alles, was keine Ahnung, aber viel Zeit hat, tippt sich die Finger wund an Horden von Rufzeichen und Punkten mit Hang zur Rudelbildung. Nicht zu vergessen der übermäßige Gebrauch der Feststelltaste, die derzeit eine ungeahnte Wichtigkeit zu erhalten scheint.

Was aber ist dran an den Nöten der Menschen, die in den Texttafeln eine Bedrohung für Kunst- und Meinungsfreiheit sehen? Um es kurz zu machen, nicht viel. Doch, gehen wir die Sache der Reihe nach an.

ein Kommentar von Richard Potrykus

Bond und die Lizenz zum Triggern

Am 04.01.2024 erschien auf theguardian.com ein Artikel darüber, dass das BFI (British Film Institute) im Rahmen einer anstehenden John Barry-Retrospektive (einer der Bond-Komponisten) einige Filme, darunter James Bond-Klassiker, mit einer Trigger-Warnung versehe. Es ginge dabei um “language, images or other content that reflect views prevalent in its time, but will cause offence today”. Spiegel.de griff diesen Bericht auf und brachte noch am selben Tag eine deutschsprachige Version heraus. Ähnlich wie beim britischen Original stößt auch der deutsche Text in den sozialen Medien auf Widerstand und Wut, dabei steht in der Warnung nichts anderes als dass die Zeit, in der der jeweilige Film gedreht wurde, nicht dem Heute entspräche.

Dennoch fliegen digital die Fetzen und hier und da liest man immer wieder auch das Wort Zensur. Die Krux daran ist lediglich, dass die Filme nicht zensiert werden. Weder werden sie neu geschnitten, noch werden sie vom Markt genommen. Das einzige, was sich ändert, ist, dass vor dem Film eine Texttafel gezeigt wird.

Manch eine*r spricht hier auch von einer unterstellten Unmündigkeit des Publikums. Dies klingt zunächst einmal plausibel, vorausgesetzt, der Mensch, der sich einen älteren Film anschaut, ist sich bewusst, dass das jeweilige Produkt nicht allein der Unterhaltung dient und dass dort immer auch Zeitgeist mitschwingt. Es ist fein, zu berücksichtigen, das Publikum hätte eine gewisse Weitsicht, doch darf nicht vergessen werden, dass diese Weitsicht auch erst einmal erarbeitet werden will.

Wieso also empören sich so viele Menschen an der bloßen Anwesenheit von Trigger-Warnungen? Es muss wohl mit dem Schreckgespenst der Veränderung zusammenhängen.

Veränderungen machen Angst. Veränderungen bedeuten immer, dass etwas nicht so bleiben wird, wie es vermeintlich war, und wenn vor einem Film darauf hingewiesen wird, dass der Film Vergangenes repräsentiere, dann wird man selbst damit konfrontiert und man muss sich fragen, ob dieses Vergangene für einen selbst noch passt und wenn ja, warum. Und da scheint für viele ein Problem zu liegen.

In “Goldfinger” (1964) gibt es eine Szene, in der Bond Pussy Galore vergewaltigt. Zwar wird dies nicht so drastisch dargestellt wie etwa in Gaspar Noés “Irreversible” (2002), aber der Sachverhalt ist da. Eine Trigger-Warnung weist darauf hin. Vermutlich gibt es unter den Aufgebrachten eine große Schnittmenge zu den Personen, die sich überfordert fühlen, wenn eine in Schokolade getauchte baiserähnliche Masse nicht länger mit Begriffen bezeichnet werden soll, die mit rassistischen Ressentiments gegenüber dunkelhäutigen Personen einhergehen.

Sean Connery und Tania Mallet bei Dreharbeiten zu „007 – Goldfinger“

Man darf ja gar nichts mehr sagen!

Speaking of Schaumküsse. Im vergangenen halben Jahr war in der Mediathek des WDR die “OTTO Show” (1973) des Komikers Otto Waalkes zu sehen. Vorab wurde eine Texttafel eingeblendet, auf der zu lesen war, dass “[d]as folgende Programm […], als Bestandteil der Fernsehgeschichte, in seiner ursprünglichen Form gezeigt [wird]. Es enthält Passagen, die heute als diskriminierend betrachtet werden.” Wieder keine Zensur, nur der Hinweis, dass das, was gezeigt wird, nicht mehr dem aktuellen Zeitgeist entspräche. Mehr noch wird sogar erwähnt, dass der Inhalt unverfälscht verfügbar ist und bleibt. Übrigens hat auch “Otto – Der Film” (1985) Shitstorms und Anfeindungen wohl überstanden. Der Film wird, wie alle Kunstwerke, kritisch betrachtet und weiterhin ausgestrahlt und vertrieben.

Solche Filme werden heute einfach nicht mehr gemacht

In “Diamantenfieber” (1971) gibt es mit den Figuren Mr. Wint und Mr. Kidd zwei überzeichnete und sehr mit Klischees beladenen schwule Auftragskiller und es ist Bond, der gegen Ende bemerkt, das After Shave von Mr. Wint rieche “zu süß und zu schwul”. Erst vier Jahre zuvor war Homosexualität zwischen Männern ab einem Alter von 21 Jahren in England legalisiert worden. In Westdeutschland war dies erst ab 1969 der Fall und in Österreich ab 1971. Es ist also davon auszugehen, dass die Darstellung von Wint und Kidd keinesfalls nur komödiantischer Natur war, dennoch bleibt alles Material dazu im Film.

2022 bemerkte Michael “Bully” Herbig in der Talkshow “3nach9”, dass er den Film “Der Schuh des Manitu” (2001) in der Form nicht noch einmal drehen würde und meint, “Die Comedy-Polizei [wäre] so streng geworden.” Er sieht eine “polemische” Führung des Diskurses mit “Totschlagargument[en]”. Dies ist sicherlich richtig.

Befindlichkeiten werden tatsächlich zum Anlass genommen, um Personen oder Positionen einzuschränken. Natürlich ist es noch in Ordnung, wenn im “Schuh des Manitu” ein schwuler Apache Cocktails mixt und auch Ottos Versuch, einen dunkelhäutigen Mann zu verkaufen ist als Satire zu werten. Beide Ereignisse sind aber nicht vorauszusetzen und erschließen sich nicht aus dem Titel oder zu erwartenden Charakter des jeweiligen Films.

Beide Ereignisse repräsentieren Dinge, die heutzutage in der bestehenden Form hinterfragt werden. Trigger-Warnungen sind ein Hilfsmittel dazu. Zensur ist schlecht und darf nicht geschehen. Dementsprechend sind Trigger-Warnungen sind auch ein Mittel, Zensur zu verhindern.

Sollen wir nun auch Epilepsie-Warnungen abschaffen?

Es ist auch erstaunlich, dass sich viele Menschen darüber aufregen, wenn auf altbackene Weltanschauungen hingewiesen wird, aber niemand ein Problem damit hat, wenn beim Einschalten einer PlayStation-Konsole eine Epilepsie-Warnung erscheint. Wo genau besteht der qualitative Unterschied zwischen “Achtung: Flackernde Bilder” und “Achtung: Rassistische Ressentiments”, wenn der nachfolgende Inhalt in vollem Umfang zur Verfügung steht?

Jeder Netflix-Film beginnt damit, dass links oben der Titel eingeblendet und einzelne Stichwörter angegeben werden, die mit dem Film zusammenhängen. Dort liest man dann “Nacktheit”, “Drogenkonsum”, “Gewalt”. Dennoch hat sich Netflix für diese Inhalte entschieden und nicht dagegen. Die Warnung gibt an, womit das Publikum rechnen muss.

Es liegt halt im Auge des Besitzers

Nun kann es durchaus sein, dass Texttafeln nicht ausreichen und dass ein Verleih der Meinung ist, dieser oder jener Inhalt wäre nicht nur nicht mehr zeitgemäß, sondern sogar fehl am Platz. Dieser Situation sah sich Disney gegenüber, als man entschied, “Onkel Remus Wunderland” (1946) nicht länger zu verkaufen und ihn auch nicht in den Katalog auf Disney+ mit aufnahmen. Disney hat dazu alles Recht der Welt. Das Unternehmen ist Produzent und Eigentümer des Produkts und kann entscheiden, was es damit tut oder nicht tut.

Und manchmal verhindert sogar die Gesetzgebung die Verbreitung oder öffentliche Darstellung von Filmen. Wer darauf hofft, Propagandafilme der Nationalsozialisten legal in Deutschland zu erwerben, muss leider enttäuscht werden.

Aber alles, was dazwischenliegt, was weder durch den Eigentümer oder durch geltendes Recht vom Markt fern bleibt, kann und darf konsumiert werden und wenn sich Distributoren oder Vorführer dazu entscheiden, Texttafeln zu zeigen, können sie das machen.

Fazit

Die Empörung des Publikums über die Anbringung von Disclaimern, Hinweistafeln und Trigger-Warnungen ist unangemessen. Das Publikum hat keinerlei Rechte am Werk. Es kann einen Film schauen oder es sein lassen und wer sich darüber aufregt, dass die Narrative, die Sprache oder Bilder aus heutiger Sicht nicht mehr zeitgemäß erscheinen, braucht nicht dem Film, der Gesellschaft oder irgendeinem anderen externen Feindbild die Schuld geben.

Texttafeln nehmen das Publikum jedoch nicht aus der Verantwortung. Im Gegenteil, sie weisen auf die Verantwortung hin, denn die Inhalte bleiben ja problematisch, ganz gleich, ob eine Warnung vorliegt oder nicht. Es ist die immerwährende Aufgabe des Publikums, Inhalte zu hinterfragen.

Wer derlei nicht mag und alles unkritisch hinnimmt, kann und muss das allein mit sich selbst ausmachen. Disclaimer sind bisweilen nervig, weil sie das Publikum daran erinnern, dass Filme kein Kindergeburtstag sind. “Vom Winde verweht” wird gerne damit verteidigt, Sklaverei so darzustellen, wie sie war. Das ist falsch. Der Film ist aus dem Jahr 1938. Die Sklaverei endete 1865. Der Regisseur Victor Fleming hätte die Möglichkeit gehabt, die Sklaverei in einem kritischen Licht zu zeigen, doch er unterließ es. Stattdessen bediente er diverse Klischees, ließ dunkelhäutige Menschen als dumm erscheinen und inszenierte den Film entsprechend. Bei der anschließenden Oscar-Verleihung, bei der die afroamerikanische Schauspielerin Hattie McDaniel für ihre Darstellung der Sklavin Mammy ausgezeichnet wurde, musste sie an einem separaten Tisch sitzen, getrennt von ihren weißen Kolleginnen und Kollegen.

Disclaimers mögen aus der Not heraus entstanden sein, sich gegen Befindlichkeiten zu schützen, und weisen Merkmale vorauseilenden Gehorsams auf. Wer das aber nicht aushält, wer sich aus einer eigenen Befindlichkeit heraus gegen diese Texttafeln stellt, bestätigt damit nur deren Bedeutung und Wichtigkeit.

Hattie McDaniel in „Vom Winde verweht“

Bilder: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Comet Photo AG (Zürich) / Com_C13-035-006 / CC BY-SA 4.0 bzw. imgbin