Nach Brandon Cronenberg („Infinity Pool“) geht nun auch die Tochter von Body Horror-Ikone David Cronenberg („Dead Zone“, „Die Fliege“) unter die Filmemacherinnen: „Humane“ ist das Spielfilmdebüt von Caitlin Cronenberg – und hat es in sich.

von Christian Klosz

„Humane“ erzählt von einer dystopischen Welt in naher Zukunft, in der der Klimawandel den Fortgang des Lebens, wie wir es kennen, unmöglich gemacht hat. Gegen toxische UV-Strahlung und Hitze müssen Sonnenschirme getragen werden, Fenster werden abgedunkelt, der Aufenthalt im Freien wird auf ein Minimum reduziert. Und die Staaten der Welt rufen ihre Bürger auf, sich freiwillig dafür zu melden, ihren Beitrag zu leisten, sprich: Sich gegen Bezahlung töten zu lassen, um das Ziel der Bevölkerungsreduktion um 20% zu erreichen, das nötig ist, um die Zukunft der menschlichen Zivilisation zu sichern.

Attraktiv ist das Programm vor allem für arme Familien und Zuwanderer, die ihrem Nachwuchs eine „Chance“ bieten wollen. Zur Überraschung seiner Familie entscheidet sich der kürzlich pensionierte und landesweit bekannte Nachrichtensprecher Charles York (Peter Gallagher) dazu, seinem Leben ebenfalls ein Ende zu setzen, um seinen „Beitrag zu leisten“. Bei einem noblen Familiendinner teilt er seiner irritierten Familie seine Entscheidung mit, die alles versucht, ihn davon abzubringen. Als seine Frau Dawn einen Rückzieher macht und davonläuft, beginnt die eigentliche Katastrophe: Denn der nur als „Bob“ bekannte, von der Regierung beauftragte Exekutor fordert 2 York-bodies, der von Charles ist nicht genug, so steht es im Vertrag. Die 4 (erwachsenen) Kinder von Charles müssen nun unter sich ausmachen, wer sich „opfert“, andernfalls müsse Bob die Entscheidung für sie treffen, wie er sagt. Das gediegene und noble Anwesen der Yorks wird so zum Schauplatz eines sozialdarwinistischen Alptraums, in dem der kollektive Überlebenskampf der Zivilisation schnell in einen blutigen, individuellen, egoistischen Überlebenskampf umschlägt, in dem sich jeder selbst der nächste ist.

„Humane“ ist eine unbequeme, provokative, aber nicht gänzlich aus der Luft gegriffene Thriller-Dystopie mit sozialkritischem und satirischem Ton. Cronenberg adressiert die drohende Klimakatastrophe, aber ebenso die Unfähigkeit der Menschheit, darauf vernünftig zu reagieren. Und den schrittweisen Verfall von Ethik, Anstand, Menschlichkeit angesichts der drohenden Katastrophe.

„Humane“ erzählt auch von der Doppelmoral von „Eliten“, die mitunter denken, für sie gelten andere Gesetze als für den „Pöbel“: Charles zynischer Sohn Jared (Jay Baruchel) verteidigt als Regierungsvertreter im TV wortreich das staatliche Euthanasieprogramm. Als sich sein Vater dafür entscheidet – ohne Not und aus Idealismus – reagiert Jared schockiert und meint, das Programm wäre doch in erster Linie für Einwanderer gedacht, nicht für „people like us“.

Bob (grandios: Enrico Colantoni) repräsentiert Kritik an dem aus den Fugen geratenen, unkontrollierten „private contracting“ von Regierungen, die zentrale Aufgaben in die Hände privater Unternehmen mit Eigeninteressen (meist: Geld) legen. Dann erzählt aber Bob wiederum, dass seine Frau selbst am Programm teilgenommen hat und nun tot ist – ein Beispiel für die Ambivalenzen, die „Humane“ zulässt.

Fazit

„Humane“ übt Kritik und ist eine beißende, schwarzhumorige und morbide Satire, die keine Antworten bietet, aber viele Fragen aufwirft und zum Nachdenken anregt. In seiner Kompromisslosigkeit, Intellektualität und Freude an der Provokation zeigt „Humane“ Verwandtschaft zu den Filmen des Vaters der Regisseurin. Alles in allem ist „Humane“ ein mutiger, subversiver, cleverer und perfide unterhaltsamer Film, der der Welt den Spiegel vorhält. Genau die Art von Film, die die in der Krise befindliche Welt dringend braucht. Auch den Namen Cronenberg, Caitlin wird man sich merken müssen.

Bewertung

Bewertung: 7 von 10.

(74/100)

„Humane“ ist seit kurzen in den USA und Kanada im Kino und on demand zu sehen. Einen Starttermin bei uns gibt es noch nicht.

Bildquelle: ImDb