Heute Nacht (0.30 auf RTL) steigt der Superbowl zwischen den San Francisco 49ers und den Kansas City Chiefs. Der Superbowl wie American Football allgemein ist inzwischen ein weltweites TV- und Medienphänomen. Film plus Kritik blickt hinter die Kulissen und auf die Gründe dieses Hypes.

von Christian Klosz

Seit Jahren steigen die Zuschauerzahlen in Deutschland und Österreich bei Superbowl-Übertragungen. Wenngleich die Möglichkeit, das größte aller Sport-Events live im TV zu sehen nicht neu ist, ist die Bedeutung des NFL-Finales hierzulande stetig gewachsen. Im Unterschied zu früher sind es nicht mehr nur „Exoten“, die sich einmal im Jahr spätnachts vor den Fernseher setzen und sich diesen für europäische Verhältnisse seltsamen Sport zu Gemüte führen, American Football wird mehr und mehr zum „Breitensport“, wie sich an Übertragungsdaten und Studien ablesen lässt. Denn inzwischen erreichen auch die regulären Saisonspiele und erst recht die Playoffs hohe Einschaltquoten im Fernsehen. Einige Studien und Umfragen ergeben, dass auf in unseren Breiten Football hinter Fußball bereits auf Platz 2 der Beliebtheitsskala diverser Sportarten liegt. Doch warum ist das so? Was macht die Faszination NFL / American Football im Allgemeinen und das Phänomen Superbowl im Speziellen aus?

1. Exotismus

Wenngleich regelmäßige NFL-Zuschauer inzwischen mit den Regeln des American Football bestens vertraut sind, ist dieser Sport eben doch „anders“ als alles, das wir in Europa kennen. Das Regelwerk ist um ein Vielfacher komplexer als etwa jenes von Fußball, Handball oder gar Schilaufen und auch Fans entdecken immer wieder neue Aspekte. Dazu kommt, dass der Großteil der Zuschauer noch nie in den USA war und trotz Live-Übertragungen ist all das doch „sehr weit weg“ und allein deshalb exotisch und faszinierend. Im Übrigens ist das auch ein Alleinstellungsmerkmals der NFL bzw. des American Football: Andere, vergleichbar erfolgreiche Sportarten haben ihre „Standorte“ hier, entweder direkt in Österreich/Deutschland, gleich vor der Haustür oder in einer nahe gelegenen Stadt. Der Anschluss an diese Sportarten ist viel ortsgebundener, „physisch“ und lokal geprägt, während American Football und zumindest die NFL, ihre Teams und Spieler, für die man die Daumen drückt, weit, weit weg sind.

2. Spannung

Manchmal sind es die banalsten Dinge, die fesseln: Spannung als Emotion ist etwas, das Menschen seit jeher fasziniert und in ihren Bann zieht, von den hellenistischen sportlichen Wettstreits über die grausamen römischen Gladiatorenkämpfen – bis in die Gegenwart, wo das Verfolgen von Sportereignissen nicht selten eng mit diesem Gefühl verknüpft ist. Und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass American Football eine steilere Spannungskurve zulässt als das durchschnittliche Fußballspiel. Zum einen liegt das an einer größeren Ausgeglichenheit in der Liga (NFL) , die jede Saison alle Teams bei 0 beginnen lässt. Und auch das ausgeklügelte Regelsystem fördert Spannung, in nicht wenigen Spielen ist bis Sekunden vor Schluss noch „alles möglich“.

3. Männlichkeit

Während in der US-Unterhaltungsindustrie klassische Vorstellungen von „Männlichkeit“ ins Hintertreffen geraten, werden sie in der NFL gefeiert: Stärke, Kraft, Durchsetzungsvermögen, Aggressivität, „Expansionsdrang“ werden belohnt und führen zum Sieg. Man sollte nicht unterschätzen, dass ein Großteil der männlichen Bevölkerung nach Vorbildern sucht, die die US-Unterhaltungsindustrie nur mehr in geringerem Ausmaß liefert. Sie hat in den letzten Jahren keine Antwort darauf gefunden, wie diverse, unterschiedliche Rollenbilder und Männlichkeitskonzepte parallel existieren und einander ergänzen können. Das hat nicht einmal zwingend etwas mit Politik oder gesellschaftlichem Wandel zu tun, dass Menschen Idole und Identifikationsfiguren suchen und brauchen. Gibt es die in einer Sphäre nicht mehr, verlagert sich das Interesse auf eine andere.

4. Geschichten von Aufstieg, Fall und Eroberung

Sport erzählt Geschichten, Sport inspiriert und Sportler können Vorbilder sein: Geschichten von Sieg und Niederlage, dem „Möglich-Machen“ des Unmöglichen sind essentiell für den Erfolg der NFL, gerade in Form seines „TV-Produkts“, das wöchentlich Millionen verfolgen. In Zeiten, wo das US-amerikanische Modell der „Eroberung von Territorien“, von Aufstieg und Fall (und dem Wiederaufstehen) gerade in der US-Unterhaltungsbranche stark in Bedrängnis kommt und hinterfragt wird, gilt der American Football vielen als „letzter Hort“ ur-amerikanischer Charakterzüge, Trademarks und Ideale. Zufällig ist das nicht: Immerhin ist die Sportart selbst eng mit dem amerikanischen Mythos vom „Voranschreiten“ und der „Landgewinnung“ verbunden, im Football wird in gewisser Weise die Eroberung neuer Territorien des Westens (also die Geburt der Vereinigten Staaten) symbolisch und rituell als Spiel nachgestellt und wiederholt, immer und immer wieder.

5. Rituale

Inzwischen ist der Superbowl für viele so etwas wie ein inoffizieller Feiertag: Tage und Wochen vor dem Spiel werden in den „sozialen“ Medien Bilder geteilt von Fresspalästen und Snackbergen, das Einkaufen und Ansammeln von möglichst großen Mengen ungesunden Essens ist inzwischen zum Ritual geworden. Das mag man albern finden, aber man sollte die Bedeutung solcher Rituale nicht übersehen: Sie haben einen gemeinschaftsstiftenden und sinngebenden Effekt, sie verbinden – und sind für viele eine „Pause vom Alltag“, wo vieles, das sonst nicht erlaubt ist, sein darf: Feiern, Exzess (Essen, Trinken) und das Vergessen der täglichen Pflichten. Ritualisierte Auszeiten vom Alltag und das Schaffen von „fiktiven Freiräumen“ sind existenziell wichtig für den Menschen, seit jeher, und durch die Abnahme der Bedeutung kirchlicher oder anderer „traditioneller“ Feiertage ist es nur logisch, dass andere Dinge diesen Platz einnehmen.

6. Marketing

Zu guter Letzt sollte dieser Aspekt nicht außer Acht gelassen werden: Wie die meisten „Feiertage“ ist der Superbowl inzwischen zum Fixpunkt für die Wirtschaft und den Handel geworden, Konzerne machen Mega-Umsätze, und das inzwischen nicht nur in den USA. Auch bei uns gibt es immer mehr Supermarkt-Ketten, die eigens für den Superbowl ihr Sortiment auffetten und eigene Produkte anbieten. Und da ist noch nicht einmal die Rede von den „offiziellen“ NFL-Fanprodukten a la Shirts, Trikots, Hoodies, Mützen, Kappen, Bälle, Tassen und vieles mehr. Was trendet, lässt sich gut verkaufen – und umgekehrt: Daran haben sowohl die Fans, als auch die Konzerne ihre helle Freude.

Dieser Beitrag erschien in leicht veränderter Form bereits auf dem Blog NFL Football Plus.

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