Seit dem Aufkommen der #metoo-Bewegung hat die Praxis, auf Social Media-Plattformen Anschuldigungen zu erheben, ein Eigenleben entwickelt. Waren es anfangs noch vor allem viele Frauen, die so ihren Erfahrungen Audruck verleihen wollten, gibt es in letzter Zeit vermehrt Fälle von schwer nachvollziehbaren Anschuldigungen, die im schlechtesten Fall anonym getätigt werden und so nicht überprüfbar sind.
Nun traf es auch den Cast von “Riverdale”: Und zwar nicht nur Cole Sprouse, sondern auch seine Co-Stars Lili Reinhart, Vanessa Morgan und KJ Apa. Sprouse wurde am Sonntag von einem anonymen Twitter-Nutzer beschuldigt, sie bei einer Party 2013 sexuell belästigt zu haben. Sprouse reagierte gestern, ebenfalls via Twitter, auf die Anschuldigungen, und wies sie als “faktisch falsch” zurück:
„Vor ein paar Stunden wurden ich und drei andere Kollegen von anonymen Twitter-Accounts fälschlicherweise einer Sexualstraftat beschuldigt. Ich nehme diese Anschuldigungen sehr ernst und werde mit den richtigen Teams zusammenarbeiten, um der Sache auf den Grund zu gehen.…Dies scheint eine weitere Behauptung einer Reihe von Vorfällen zu sein, die darauf abzielen, mich und meine Kollegen ohne Grund zu ‚canceln‘.“
Bei den “Kollegen” bezog er sich auf die 3 oben genannten Co-Stars, denen kurz später ebenfalls und auch auf Twitter von einem weiteren, anonymen Account sexuelle Übergriffe vorgeworfen wurden. Dieser Account schrieb etwas später dann allerdings: “Do you see how easy it is to lie and you guys will believe it? Vanessa Morgan and Kj Apa didn’t do jack shit. You will believe anything.” – Die Anschuldigungen wurden also offenbar erfunden, um entweder zu beweisen, wie schnell ein “Shitstorm” kreiert werden kann, oder um den Stars bewusst zu schaden.
Die ebenfalls beschuldigte Lili Reinhart kam ihrem Kollegen Cole Sprouse auch auf Twitter zu Hilfe und reagierte wütend auf die Anschuldigungen:
“I have always taken sexual assault allegations seriously. But it was proven that this account was created specifically to create false stories about me and my cast. I can’t think of something more twisted than lying about sexual assault. It invalidates the men and women who are brave enough to come forward with the truth. This kind of lie can ruin lives and careers- and I can call it a lie because the person who made the allegations already admitted that the stories were fabricated.”
Auch „Riverdale“-Co-Star Madelaine Petsch, die selbst nicht beschuldigt worden war, schrieb ebenfalls einen Tweet, um ihre Kollegen zu verteidigen: Als jemand, der selbst sexuell belästigt wurde, finde sie es zutiefst beunruhigend, dass jemand denkt, es sei in Ordnung, jemanden fälschlicherweise des sexuellen Missbrauchs zu beschuldigen.

Schließlich konnte ein weiterer Twitter-Nutzer herausfinden (siehe Bild oben), dass die IP-Adresse des Accounts, der Sprouse beschuldigt hatte, und jene des Accounts, der seinen 3 Kolleg/innen sexuelle Übergriffe vorgeworfen hatte (und das danach selbst als absichtige Lüge darstellte), übereinstimmen (lässt sich HIER im Detail nachlesen): Offenbar erlaubte sich hier jemand einen besonders schlechten “Scherz”, wobei die Frage bleibt, was daran lustig sein soll. (red.)
Eine ausführliche Darstellung des Vorfalls lässt sich auch HIER nachlesen.
Puh, da muss man aufpassen, dass sich dieser ganze #me-too Kram nicht zu einer Büchse der Pandora entwickelt, die dem Ganzen seine Berechtigung und Glaubwürdigkeit kaputt macht.
Das Grundproblem scheint mir so etwas zu sein wie ein “emotionaler Imperativ”, also emotio statt ration: Wenn jemand etwas behauptet – und zwar nicht nur real als Person, sondern noch mehr in den Social Medias (und jeder weiß, wie leicht und schnell da Behauptungen augestellt sind, wie der Fall oben beweist), und wenn es ausreichend “emotional” wirkt – wird das 1:1 als Fakt gesehen. Nicht hinterfragt. Sofort ge- und verurteilt. Im Grunde werden alle Werte, die wir der Aufklärung zu verdanken haben, über Bord geworfen (“Ich denke, also bin ich” wir zu “Ich fühle, also bin ich”) und rationale Kommunikation verworfen. Neue Barbarei. Den Unterschied zwischen digitalem Leben und echtem Leben merkt man oft, wenn man Menschen trifft, die sich in real life viel zivilisierter verhalten, als im digitalen. Für viele ist das ein “rechtsfreier Raum”, ein wilder Westen, wo sie ihre Affekte ungezügelt ausleben können. Siehe u.a. auch Donald Trump. Dass das nicht gerade ein zivilisatorischer Fortschritt ist, ist wohl klar. Das Problem in solchen, natürlich sehr emotionalen und sensiblen Fällen von Missbrauch ist, dass Soziale Medien der denkbar schlechteste Ort sind, solche Konflikte zu klären. Würde mir irgendeine Art von Gewalt wiederfahren, wäre das der allerletzte Ort, wo ich darüber sprechen wollen würde (dafür mit Freunden, Familie, Professionalisten, etc.). Darum eskaliert das dauernd so, und untergräbt im Grunde den nachvollziehbaren Grundgedanken von #metoo, sich gegen Arten von Missbrauch zu wehren oder sie anzusprechen. Viele sehen das als eine Art von “Berechtigung zur Selbstjustiz”, wollen Rache nach dem Motto “Auge um Auge, Zahn um Zahn”. Gleiches mit gleichem vergelten. Und begeben sich damit auf dasselbe Niveau jener, denen damit eigentlich Einhalt geboten werden soll. Gewalt produziert Gegengewalt produziert Gewalt. Dabei ist die einzige Instanz, die Missbrauchsfälle zu beurteilen hat, das Gericht, für die Aufarbeiten persönlicher Traumata gibt es Therapie, Selbsthilfegruppen – und nicht Twitter oder Facebook. Wenn man all das bedenkt, ist es kein Wunder, dass dann sowas wie da oben rauskommt. Schande. //ck